Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
willig machen lassen. Aber jetzt ließ die Wirkung des Whiskeys nach, und sie fühlte sich von seinen Händen einfach nur noch bedrängt.
Er trat den Rückzug an. Er streichelte ihr mit dem Daumen über die Wangenknochen. Tia wusste nicht, was sie tun sollte. Verdammt, das waren jetzt alles neue Situationen. Sie hatte so lange keinen Sex mehr gehabt, dass sie sich nicht einmal mehr daran erinnern konnte, wo und wann es zuletzt geschehen war, nur noch daran, dass es mit Nathan gewesen war.
Er schob ihr den gekrümmten Zeigefinger unter das Kinn und hob es an. »Du siehst aus wie eine Schauspielerin, weißt du das?«
Tia dürstete nach Bewunderung, Bestätigung von einem Unbekannten, einem, der am nächsten Tag oder im nächsten Moment keine Fragen stellen würde. Einem, der nicht fragen würde, ob sie irgendwo ein Kind versteckt hatte.
Er schob sie in die Küchenecke gegen die Waschmaschine. Er ließ nicht locker. Er legte eine zu warme Hand – Nathans Hände waren immer kühl und trocken gewesen – unter ihr T-Shirt und packte ihre Brust. Wo war die Zärtlichkeit seiner Daumen geblieben, als er ihr eben das Gesicht gestreichelt hatte? Er knetete ihre Brust und rieb sich an ihr.
Unerwartetes Verlangen schoss ihr direkt in den Schritt.
Er beugte sich vor und bedeckte ihren Mund mit seinen Lippen. Er schmeckte nach Wodka und Kaffee und den pfeffrigen schwarzen Bohnen aus seinem Gemüseburger. Seine Bartstoppeln kratzten unangenehm.
Hinterher musste sie unbedingt unter die Dusche.
Genau deshalb hatte sie nach der Geburt wieder angefangen, die Pille zu nehmen, weil sie gewusst hatte, dass jederzeit so etwas passieren konnte. Tia traute sich selbst nicht über den Weg und auch keinem anderen.
Er lag ausgestreckt auf ihrem Bett, die Augen geschlossen, schlaff und verschwitzt. Bei dem Anblick wurde ihr ganz mulmig, aber sie traute sich nicht, ihn zuzudecken. Sie glitt aus dem Bett und zog den seidenen Morgenmantel über, der einmal ihrer Mutter gehört hatte.
Sie stupste ihn zögerlich mit einem Finger am Arm. Dann stupste sie ein bisschen fester. Sie benutzte zwei Finger.
»Ja, ja … was ist denn?« Er drehte sich zu ihr, blinzelte mit blutunterlaufenen Augen.
»Jeremy, du musst gehen.« Ihre Stimme klang dünn.
Er schloss die Augen und schüttelte den Kopf. »Zu müde.«
»Tut mir leid. Es ist Zeit.«
»Ich hab nicht mal mein Auto hier.«
»Die Bushaltestelle ist gleich um die Ecke, oder du gehst ein Stück zu Fuß zur orangen Linie.«
»Nee, ich kann nach Hause laufen.«
Idiot. Warum erzählst du dann was von deinem Auto ?
»Aber es ist weit«, sagte er. »Und von hier aus fährt kein Bus.«
»Was macht das für einen Unterschied? Morgen früh wirst du dasselbe Problem haben.« Tia wollte ihn nur noch loswerden.
Er tippte ihr auf die Nase. »Morgen früh fährst du mich nach Hause, stimmt’s?«
»Ich hab kein Auto.«
Er zog eine Schnute. »Hm, das ist ein Problem. Aber zum Glück für dich habe ich ja ein Auto. Ich schätze, morgen früh kann ich es holen gehen. Dann fahre ich dich zum Frühstück.«
»Ich muss zur Arbeit«, sagte Tia.
»Na, dann fahr ich dich eben zur Arbeit.«
Tia zog sich den Morgenmantel bis zum Hals zu. »Jeremy, du musst jetzt gehen.«
Er sah sie gekränkt an. »Ich heiße nicht Jeremy. Ich heiße David.«
12. Kapitel – Juliette
Juliette fühlte sich unsichtbar in New York. Zu viele Menschen, zu viele Autos, zu wenig Platz zwischen den Häusern. Boston war groß genug für jemanden, der in Rhinebeck aufgewachsen war.
Als ortskundiger Einheimischer steuerte Nathan zielsicher das Haus seiner Eltern an. Die Jungs saßen auf dem Rücksitz. Die Coney Island Avenue zog sich durch den Flickenteppich von Brooklyns Zentrum. Tankstellen, ethnische Lebensmittelläden und Maklerbüros wechselten sich mit Synagogen, Moscheen und pakistanischen Restaurants ab.
Juliette warf einen Blick in den Rückspiegel, um nach den Jungs zu sehen. Max schlief. Im Schlaf, den Kopf nach hinten gelegt, erinnerte sein Gesicht noch immer an den pausbäckigen kleinen Jungen, der er gewesen war.
Savannahs Gesicht. Eine Klein-Mädchen-Version von Max. Ein Kind, dem es Spaß machen würde, Brownie-Teig zu rühren, ohne gleich kötelförmige Kügelchen zu formen und sie durch die Gegend zu schnipsen.
Juliette musste unbedingt ihre Gedanken verscheuchen, denn sonst bekam sie womöglich ein Problem. Was wäre, wenn Nathan ihre Gedanken lesen könnte? Was würde er wohl von ihrer Vorstellung halten,
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