Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
sie könnten, wenn Savannah nur von ihnen wüsste, eine einzige große Familie sein? Juliette wäre nicht länger die Außenseiterin. Aber sie konnte unmöglich irgendwem von ihrer Fantasie erzählen, das kleine Mädchen in ihr Leben einzubeziehen. Sie durfte sich nicht weiter in diese Gedanken hineinsteigern. Um den Besuch bei Nathans Eltern zu überleben, musste sie all diese Gefühle verdrängen.
Sie drehte sich um und betrachtete ihre Jungs in der Hoffnung auf Ablenkung, aber obwohl Max gerade erst aufgewacht war, war er schon wieder genauso in irgendein Videospiel vertieft wie sein Bruder.
Lucas konzentrierte sich auf sein iPhone, als würde er die Thora studieren. Lucas und Max, die so geschickt auf die Minibildschirme tippten und darin herumscrollten, würden ihr und Nathan in diesen Dingen immer voraus sein. So schnell wie ihre Söhne konnten sie sich gar nicht mit neuen Technologien vertraut machen, auch wenn Nathan es zumindest versuchte. Solange Juliette neue Geräte nicht für die Arbeit benötigte, weigerte sie sich, sich welche anzuschaffen. Smartphones gaben ihr nur das Gefühl, dumm zu sein.
Der Häuserblock, in dem Avraham und Gizi wohnten, sah aus wie immer, nur die bunten, im Wind flatternden Fähnchen, die Ostern ankündigten, waren anders als sonst. Juliette fragte sich, ob wohl irgendein geschäftstüchtiger Unternehmer schon eine Fahne mit Pessach-Emblemen entworfen hatte. Vielleicht würden ja im nächsten Jahr Wimpel mit Bildern von pastellfarbener Matze und silbrig leuchtenden Elias-Bechern im Wind flattern.
Als sie in die Albemarle Road einbogen, streckte sich Max, beugte sich vor und tippte Juliette auf die rechte Schulter. »Wir sind da, oder?«
»Ja, wir sind da«, antwortete sie.
»Warum sind dann alle so still?«
»Woher weißt du, dass es still war, wenn du geschlafen hast, du Penner?«, fragte Lucas.
»Ich hab gar nicht richtig geschlafen, ich hab nur gedöst, du Stinktier«, sagte Max.
»Reißt euch zusammen«, warnte Juliette.
»Also, Jungs. Wir sollten eigentlich in meditativer Stimmung sein«, schaltete Nathan sich ein. »Schließlich ist Pessach.«
»Und ich dachte, Yom Kippur wäre das besinnliche Fest und an Pessach würde die Freiheit gefeiert«, sagte Lucas.
»Woher sollen wir so was wissen? Wir hatten ja nicht mal BarMizwa«, fügte Max vorwurfsvoll hinzu. »Lucas und ich sind doch sowieso keine richtigen Juden, stimmt’s? Nur zu dreiviertel. Weil Mamie Sondra keine Jüdin ist. Benjamin Kaplan hat gesagt, dass es von Seiten der Mutter sein muss.«
Mamie Sondra. Juliettes Mutter bestand darauf, dass die Jungs sie Mamie nannten anstatt Grandma, in Würdigung ihrer französischen Wurzeln, die allerdings schon zehn Generationen alt waren. Juliette wusste, dass ihre Mutter die Bezeichnung gewählt hatte, weil es jünger klang als Grandma. Hätte sie nicht genausogut Grand-Mère wählen können, was man in Amerika immerhin kannte? Nein, sie musste ein Wort wählen, das sie jünger und ein bisschen exotisch wirken ließ.
»Nur in den ganz orthodoxen Gemeinden beachten die Leute diese obskuren Regeln«, sagte Nathan.
»Und wie kommt es dann, dass Lucas und ich keine Bar-Mizwa hatten?«
»Mann, wen interessiert’s?«, sagte Lucas.
»Möchtest du lieber auf eine jüdische Schule gehen, Max? Und jeden Tag nach der Schule noch viel mehr Hausaufgaben machen?« Nathan bog in die Einfahrt ein. »Ich musste immer zwei Taschen voller Bücher mit in die Schule schleppen. Das war kein Vergnügen, mein Sohn, absolut kein Vergnügen.«
»Ihr habt uns ja gar nicht die Wahl gelassen«, beschwerte sich Max.
»Was ist denn hier plötzlich los?« Nathan sah Juliette Hilfe suchend an. Sie bedachte ihn mit einem absichtlich leeren Blick. Du bist doch hier der Volljude. Antworte du ihnen .
»Josh Simons hat dreitausend Dollar zu seiner Bar-Mizwa gekriegt!« Max breitete die Arme aus, die Handflächen nach oben, als wollte er das Gewicht des Geldes ermessen. »Dreitausend!«
»Aha, es geht also ums Geld.« Erneut versuchte Nathan, Blickkontakt mit Juliette herzustellen. Aber wieder ließ sie ihn abblitzen. Er versuchte es anders, diesmal hob er die Brauen und neigte leicht den Kopf, was in ihrer Ehepartnersprache so viel hieß wie: Was ist? Stimmt was nicht?
Seine Augen waren ein einzigen Fragezeichen. Juliette wandte sich ab.
Das Haus von Juliettes Schwiegereltern roch nach deftiger ungarisch-jüdischer Kost. Eingelegte rote Paprika und Gizis Pessachversion von Kohlrouladen und
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