Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
und ihr den Transzendentalismus erklärt. Ebenso wie seine Ideen waren auch die Lebensmittel neu für ihren provinziellen Geschmack. Sinnliche Papayascheiben anstatt knackiger Äpfel. Und Crostini mit Gorgonzola anstatt der Kräcker mit Sahnekäse, die sie seit ihrer Kindheit kannte.
»Heutzutage werden hier Hochzeiten gefeiert«, sagte er. »Aber damals, als das Zentrum gegründet wurde, ging es hier sehr politisch zu. Hier wohnte eine Kommune, die vorhatte, sich vom Wirtschaftsleben des Landes abzukoppeln. Sie wollten ihre eigenen Lebensmittel erzeugen und alle Güter selbst herstellen – sie wollten praktizieren, was sie predigten.«
Nathan mochte es, wenn sie ihm Fragen stellte. Er gab gern an mit seinem Wissen, was okay für sie war. Sie fand es aufregend, wie viel er wusste. »Und was haben diese Leute gepredigt?«
»Der Transzendentalismus ist nicht einfach zu definieren, aber kurz gesagt ging es um Spiritualität.« Nathan schlug die Beine übereinander. Jetzt war er in seinem Element. »Sie wollten sich von dem Materialismus lossagen, der ihrer Meinung nach damals die Gesellschaft beherrschte, und sie glaubten eher an die Intuition als an Dogmen.«
»Und Louisa May Alcott ist hier aufgewachsen?«
»Eigentlich hat ihre Familie hier nur sieben Monate gewohnt, aber diese sieben Monate haben sie sehr geprägt.«
Sie wischte sich den Papaya-Saft von den Händen und machte es sich auf der weichen, karierten Wolldecke bequem. Nur eine einzelne weiße Wolke trübte den strahlend blauen Himmel. Nathan legte sich neben sie und nahm ihre Hand. Sie fuhr mit ihrem Finger am schwieligen Rand seines rechten Zeigefingers entlang. »Ach, das ist vom vielen Korrigieren«, scherzte er, wenn sie seine Hände als männlich bezeichnete.
Sie rollte sich auf die Seite, sodass sie ihm ihre Hüfte darbot. Er zeichnete die Linie ihres Oberschenkels mit dem Finger nach.
Sie weinte, als sie sich das erste Mal liebten.
»Stimmt was nicht?«, hatte er sie gefragt, während er ihr die Tränen von der Wange wischte. »Habe ich dir wehgetan? Oder habe ich dich traurig gemacht?«
»Nein, es ist, weil du mich glücklich machst.« Wie sollte sie ihm erklären, dass sie fürchtete, ihr Glück genauso schnell zu verlieren, wie sie es gefunden hatte. »Ich weiß nicht, wohin das führen wird.«
Und zum ersten Mal hatte er gesagt, was er immer wieder sagen würde: »Denk nicht drüber nach« – freundlich, und doch tat es weh. Er verlangte das Unmögliche, als hätte sie auch nur die geringste Kontrolle über die Affen, die in ihrem Kopf losschnatterten, kaum dass Nathan ihre Wohnung verlassen hatte.
Affe Nummer eins sagte genau das, was jede Frau aus Southie sagen würde, die Tia auf der Straße ansprach.
Er wird seine Frau nie verlassen. Er verarscht dich auf ganzer Linie .
Affe Nummer zwei war Tias Mutter.
Liebes, was du tust, ist Sünde . Such dir einen guten Mann, einen, der nicht lügt und betrügt. Meinst du vielleicht, du wirst immer so jung aussehen? Halt den Preis hoch, solange du es dir noch erlauben kannst .
Affe Nummer drei war Nathans Frau.
Warum lassen Sie uns nicht in Ruhe ? Er liebt mich. Sie sind für ihn nichts weiter als eine nette Zerstreuung .
Die Affen beschmutzten Tia. Sie bewarfen sie mit ihrem Affendreck, bis sie stank.
Und jetzt, Jahre später, waren neue Affen hinzugekommen. Nonnen, die sie von der Seite abschätzig beäugten. Rechtschaffene Mütter, die Kinderwagen schoben. Lüstlinge, die sie beglotzten, als hätte sie nichts Besseres verdient, als das Objekt ihrer Begierde zu sein.
Hey, Süße, wie wär’s mit uns?
Keine rechtschaffene Mutter gibt ihr Kind weg. Nur Huren und Schlampen. Schamlose, eigennützige Weiber .
Ich glaube, Honor ruft nach dir, Tia. Hörst du sie ?
Tia nahm ihr Handy und wählte Robins Nummer.
»Puh, ich habe gerade den Laden aufgemacht«, sagte ihre Freundin. »Was gibt’s?«
»Ich brauche dich«, sagte Tia. »Kannst du nicht ein paar Tage herkommen?«
»Ich sag’s dir immer wieder, Tia, ich bin hier zu Hause. Komm du doch her.«
Dass sie sich schämte, weil sie noch nie in ihrem Leben geflogen war, konnte sie nur Robin erzählen. Fliegen war garantiert genauso wie die Achterbahnfahrt, zu der sie sich einmal durchgerungen hatte, ein Horrortrip, als hätte man sie ins All geschossen. Aber Robin drängte und sagte, sie solle gefälligst die Zähne zusammenbeißen und ihre Angst überwinden.
»Ich brauche dich«, wiederholte Tia.
»Ich bin doch da.« Als Tia
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