Das Band der Wünsche: Roman (German Edition)
junger Typ eine zerknitterte Zeitung, während er an einem großen, mit Eiswürfeln gefüllten Glas nippte. Die Flüssigkeit war klar. Wodka? Gin? Wasser?
»Was darf’s sein?« Die Barfrau wischte den Tresen ab und legte einen welligen Bierfilz vor Tia.
»Kaffee.« Einen Moment lang hoffte Tia, dabei könnte sie es belassen, aber sie brachte den Willen nicht auf. »Mit einem Schuss Jameson.«
»Den Whiskey im Kaffee oder extra?« Der blutjungen, ausnehmend hübschen Kellnerin gegenüber hätte Tia sich gern von ihrer besten Seite gezeigt, aber sie hatte die Chance verpasst. Der Jameson verwies sie in dieselbe Liga wie den Aschgrauen und die Biersäufer.
»Ist der Kaffee frisch?« Als wäre Tia eine Kaffeekennerin, die die Entscheidung, wie sie ihren Nachmittagswhiskey haben wollte, von der Kaffeesorte abhängig machte.
»Frisch und heiß.« Das rote Haar der Barfrau war lang und lockig. Sie sah aus wie eine Kunststudentin, die nachts nach der Arbeit wenig schmeichelhafte Porträts ihrer Kundschaft anfertigte. Tia war vermutlich dazu bestimmt, sich an Weihnachten in irgendeiner obskuren Kunstausstellung in Jamaica Plain wiederzufinden. Betrunkene Frau zum Preis von sechzig Dollar.
»Dann im Kaffee.« Tia rang sich ein Grinsen ab. Ihre Träume vom beruflichen Erfolg schienen in immer weitere Ferne zu rücken. Ihre Mutter hatte sich ins Zeug gelegt, um Tia ein besseres Leben zu ermöglichen. Ihre Tochter sollte einmal in einer Welt leben, in der Leute sich neue Autos kauften statt klapprige Gebrauchtwagen. In der sie sich ein eigenes Haus leisten konnte. Tia hingegen wünschte sich einfach nur einen Platz in der Welt, an dem sie sich wohlfühlte.
Zumindest war es ihr gelungen, ihrer Tochter eine bessere Zukunft zu sichern.
Tia nahm den jungen Zeitungsleser mit nach Hause.
Er hatte blondes Haar, blaue Augen und sah aus wie der Frühling in Person. Zumindest hatte Tia ihn so sehen wollen, als sie sich in eine der Nischen im hinteren Raum des Doyle’s verzogen hatten.
Sein flachsblondes Haar konnte allerdings eine Wäsche gebrauchen, seine Brille war verschmiert, und er roch nach Schweiß. Die klare Flüssigkeit, die an der Theke noch Reinheit suggeriert hatte, entpuppte sich als Wodka. Sie machte mit Jameson weiter, schenkte sich den Alibi-Kaffee und knabberte an einem Hamburger, während er einen Gemüseburger mit Fritten verschlang, ohne den Blick von ihren Brüsten abzuwenden.
Sie sprachen über Themen, die ihnen im betrunkenen, erotisch aufgekratzten Zustand wichtig vorkamen. Seine Rucksackreisen durch Griechenland. Seine Pläne, Immigranten in Literatur zu unterrichten. Ihre Pläne, wieder an die Uni zu gehen, um ihren Master-Abschluss zu machen und sich für Gesetze gegen die Diskriminierung alter Menschen einzusetzen, ein Projekt, dessen sie sich bis zu ihrem vierten Whiskey noch nicht bewusst gewesen war. Sie beendete das Gespräch mit einem rührseligen Vortrag darüber, wie schlecht die Welt alte Leute behandelte.
Dann fuhren sie zu ihr nach Hause.
Er zog sie an sich, sobald die Tür ins Schloss gefallen war.
Sie konnte sich nicht mehr an seinen Namen erinnern.
Er bedeckte sie mit nassen Küssen.
Patrick?
Paul?
Jeremy.
»Hey, Kleiner«, sagte sie. »Immer mit der Ruhe.«
»Hä?«
»Mach mal langsam, Kumpel.« Tias Lippen fühlten sich widerlich taub an, sodass es ihr schwerfiel, die Worte zu artikulieren.
Als Antwort auf Tias Aufforderung drückte der Kerl sie so eng an sich, dass sie jeden Zentimeter seines härter werdenden Glieds durch ihre Jeans spürte. Dann nahm er ihre Hand und drückte sie nach unten und drängte sie zuzufassen. Sie tat nichts. Daraufhin schob er ihre Hand noch heftiger nach unten.
Tia löste sich aus der Umklammerung und schob ihn von sich. »Ich habe gesagt, mach langsam.«
»Ich kann nicht anders«, sagte er. »Du machst mich so was von geil. Du bist einfach ein verdammtes Prachtweib.«
Tia hatte sich auf dem Klo der Kneipe im Spiegel gemustert. Im Verlauf des Nachmittags und Abends hatte sie sich die Haare mit ihren nervösen Fingern völlig zerzaust. Sie hatte sich so oft die Augen gerieben, dass sie aussah wie ein Waschbär. Lidschatten und Wimperntusche waren verschmiert.
»Hör zu, Kleiner.« Sie bemühte sich, nicht zu lallen. »Ich hoffe, ich hab dich nicht zu sehr angemacht.«
Blödsinn. Natürlich hatte sie ihn angemacht. Sie hatten nebeneinander in der Kneipe gesessen. Als er ihr mit der Hand an ihrem Oberschenkel hochgefahren war, hatte sie ihn
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