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Das Banner des Roten Adlers

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Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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ergiebige
Minen gegeben, in denen Kupfer und Silber abgebaut wurden, doch vor mehr als
zwei Jahrhunderten waren die Vorkommen zur Neige gegangen, zumindest die
Kupfervorkommen. Von einem anderen Metall, das wie Kupfer aussah, aber die
unter Tage arbeitenden Bergleute vergiftete, gab es dagegen reichlich. So nutzlos
und schädlich war es, dass die Arbeiter ihm den Namen Kupfernickel gaben und es
ließen, wo es lag. Nickel war ein anderer Name für Teufel.
    Sehr viel später entdeckte jemand, dass Kupfernickel eine Verbindung aus Arsen und
einem neuen Metall war, das Nickel genannt wurde. Zu Beginn des neunzehnten
Jahrhunderts
fand
man
auch
für
dieses
Metall
Verwendung,
worauf
in
den
Bergwerken des Karlsteingebirges wieder Erz abgebaut wurde.
    Doch jahrhundertelang hatte es in Raskawien keine Schätze zu gewinnen gegeben,
deshalb kümmerten sich die Nachbarvölker nicht um das kleine Land. Die Raskawier
melkten ihre
Kühe, die
sie sommers auf die Almen führten, sie kelterten
die
Trauben, die an den Hängen des Elpenbachtales gediehen, und jagten das Wild, das
in den ausgedehnten Wäldern lebte. In der Hauptstadt Eschtenburg gab es außer
einem Opernhaus, in dem der Komponist Weber am Dirigentenpult gestanden
hatte, auch ein Theater, einen Dom und ein hübsches Barockschloss mit Säulen,
Springbrunnen
und
Stuckornamenten
wie aus
der
Konditorei.
Im
Park
hatte
Raskawiens einziger geistig umnachteter König einen Pavillon mit einer künstlichen
Grotte anlegen lassen. Im Übrigen war dieser Potentat, wie so mancher wahnsinnige
König,
recht
harmlos
gewesen.
In
den
vierziger
Jahren
des
Jahrhunderts
versuchten
die jüngeren
Vertreter
des
Adels,
die
neunzehnten
    die
muffige
Atmosphäre des Königshofs nicht länger ertrugen, im Elpenbachtal einen Kurort
namens Andersbad als neuen Mittelpunkt des mondänen Lebens zu etablieren. Dort
steht ein Kasino; Johann Strauß war einmal mit seinem Orchester zu Gast und man
hatte ihm
ein
Extrahonorar
versprochen,
um
ihn
dazu
zu
bewegen,
einen
Andersbader Walzer zu komponieren, der freilich nicht zu seinen besten gehörte.
Kurgäste besuchten den Ort. Hin und wieder machten sogar gekrönte Häupter eine
Stippvisite, doch das war nichts, was den Charakter des Ortes hätte verderben
können.
    Tatsächlich
war
Raskawien
einer
der angenehmsten
Flecken
in
Europa:
die
wildreichen romantischen Wälder; das
Eschtenbürg
mit
der Adlerfahne über
malerische Elpenbachtal; die Hauptstadt
    dem
Felsen,
den
mittelalterlichen
und
barocken Prachtbauten; Andersbad, das mit Amüsement lockte; das gute Bier, das
hier gebraut wurde; und vor allem die Gastfreundlichkeit der Bewohner.
    »Klingt wunderbar«, sagte Mrs Goldberg. »Aber Sie leben jetzt nicht mehr dort ...«
»Wir sind im Exil, Mama, meine Großmutter und ich. Als ich noch klein war, hat
mein Vater zusammen mit Freunden eine politische Partei gründen wollen. Eine liberale
Partei.
Sie
wollten,
dass
die
Verhältnisse in Ras-kawien demokratischer
würden,
denn
es
gab
weder
ein
Parlament
noch
einen
Senat
noch
sonst
irgendetwas. Doch er kam ins Gefängnis, in dem er sich Typhus holte und starb.
Daraufhin ist Mama mit mir und Großmutter nach England geflohen und seitdem
leben wir hier. Sie wird nicht mehr zurückkehren. Jetzt soll es dort demokratischer
zugehen, aber Gefahr droht von den beiden Großmächten.«
»Und worauf haben die es abgesehen?«, fragte Mr Taylor.
    »Auf
das
Nickel
aus
den
Bergwerken.
Man
fertigt
daraus
eine Legierung
für
Kanonenrohre und Panzerungen. Beide Großmächte lauern auf die Gelegenheit zuzuschlagen. Deutschland könnte das
Land
in eineinhalb Stunden besetzen
und
Österreich-Ungarn genauso rasch, aber wenn einer der beiden Rivalen das wirklich
täte, bekäme er sofort Schwierigkeiten mit dem anderen, deshalb haben sie sich
bisher zurückgehalten. Mama glaubt, dass wir hier sicherer sind.« »Da hat sie
wahrscheinlich Recht«, sagte Mrs Goldberg. »Und Adelaide - die kleine Adelaide!
Hat einen Königssohn geheiratet ...« Sie schüttelte verwundert den Kopf.
»Ja, aber es darf nur eine morganatische Ehe sein«, präzisierte Becky.
     
»Was ist das denn?«, fragte Mr Taylor.
    »Eine rechtskräftige, aber eingeschränkte Verbindung«, erläuterte Mrs Goldberg.
»Falls Adelaide einmal Kinder hat, sind diese nicht erbberechtigt. So ist das doch,
oder?«
    Becky nickte. »Wir hatten einmal einen König von Ras-kawien namens Michael IL,
der wahnsinnig wurde. Er wollte unbedingt einen Schwan heiraten. Man ließ ihm
seinen

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