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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Cousine und die übrige Familie unterhielt. Dann schaute er Becky an.
    Nicht etwa Adelaide. Alle standen noch und Adelaide war bereits schrecklich müde.
Doch der König beachtete sie gar nicht, sondern wandte sich Becky zu. »Fräulein
Winter«, sprach er sie an. »Für das Wissen und die Fertigkeiten, die Sie sich
angeeignet haben, sind Sie noch sehr jung. Die Mädchenbildung in England muss
recht fortschrittlich sein. Wir hier in Raskawien sind da altmodischer. Wir schätzen
an einem Mädchen vor allem Bescheidenheit; vielleicht halten Sie uns für ein wenig
zu konservativ, um Sie richtig einschätzen zu können.«
    Becky brauchte eine kleine Weile, ehe sie begriff, was er eigentlich meinte, aber
dann hasste sie ihn sofort dafür. Sie musste daran denken, dass er der Mann war,
der, wenn auch nur indirekt, für den Tod ihres Vaters verantwortlich war. Sie hasste
ihn aber auch für die brüskierende Behandlung Adelaides, mit der er erst ganz zum
Schluss, noch nach der Dolmetscherin, sprechen würde. Außerdem war sie müde
und hungrig, und sie wusste, kaum hatte sie den Mund aufgemacht, dass es falsch
war, was sie tat, aber sie konnte einfach nicht anders.
    »Eure Majestät sind sehr gnädig«, begann sie. »Aber ich bin selbst eine Raskawierin,
und meine Mutter hat mir immer gesagt, dass unser Land, wie arm es auch sonst
sein mag, dank der Höflichkeit und Großherzigkeit seiner Bewohner als reich gelten
darf. Ich freue mich, dass Eure Majestät mir ein Beispiel für diese Tugenden geben.«
    Dann machte sie einen so tiefen Hofknicks, dass sie beinahe mit der Nase den
Teppich berührt hätte. Sie bemerkte die Eiseskälte der Gräfin, auch den verhaltenen
Zorn des Grafen und das Zittern des Prinzen. Vor allem aber die neben ihr stehende
Adelaide war verstört. Als sie wieder aufblickte, sah sie der König mit kalten,
steinalten Augen an.
Es war ein langer Blick, den sie aber aushielt; dann bedeutete er ihr, beiseite zu
treten, und wandte sich Adelaide zu. Er musterte sie von oben nach unten und
sprach sie an. Becky dolmetschte, wie es ihr die Gräfin eingeschärft hatte, rasch,
unaufdringlich und so getreu wie möglich.
»Das ist also die Braut, die sich mein Sohn ausgesucht hat.«
     
Adelaide antwortete: »Ich fühle mich geehrt, Eure Majestät kennen zu lernen.«
»Ihr Familienname ist Bevan, glaube ich. Erzählen Sie mir etwas über Ihre Familie.«
    »Meine Mutter war eine Näherin. Sie starb im Arbeitshaus in Wapping. Mein Vater
war Werber bei der Armee, aber gesehen habe ich ihn nie. Das ist alles, was ich über
meine Familie weiß, Eure Majestät.« Sie sprach offen und ungekünstelt. Während
Becky übersetzte, zeigte der König ein steinernes Gesicht. Nur seine Finger, die noch
stärker als gewöhnlich zitterten, verrieten Seine Gefühle.
Dann fuhr er fort: »Offenbar sind Sie Prinzessin geworden.«
    »Ich bin die Ehefrau eines Prinzen geworden. Alles andere habe ich nicht gewählt.
Wenn es aber jemandes Wunsch ist, mich zur Prinzessin zu machen, werde ich mich
bemühen, eine gute Prinzessin zu werden.« Eine lange Stille folgte, in der nur das
Knacken des Holzes im Kamin und das Schlagen der Uhr auf dem Kaminsims zu
hören waren. Durch die Finger des Königs ging mehrmals ein heftiges Zittern;
vergeblich versuchte er, den rechten Arm zu heben. Becky glaubte, dass dies von
einem Schlaganfall herrührte. Er musste wirklich sehr alt und krank sein.
    Doch es gelang ihm, den linken Arm zu heben und auf das Kissen neben sich zu
klopfen. Mit einem Blick zu Adelaide sagte er sanft: »Setz dich zu mir.« Einen Augenblick lang erinnerte er Becky an ihren eigenen Großvater. Das verwirrte sie so
sehr, dass sie beim Übersetzen Mühe hatte, ihre Stimme zu beherrschen. Adelaide
setzte sich neben den König, der nun Wein holen ließ. Als der Wein eingeschenkt
war, nahm der König ein Glas und reichte es mit zittriger Hand weiter an Adelaide.
Dann nahm er selbst eines. »Adelaide«, sagte er. »Das ist ein guter Name. Er beginnt
wie der Name unseres Wappentiers, der rote Adler. Hast du die Adlerfahne über
dem Felsen wehen sehen? Ich dachte, mein Sohn Wilhelm würde dereinst die Fahne
vom Dom zum Felsen tragen, doch unser Vater im Himmel hat anders entschieden.
Sei's drum. Rudolf ist würdig. Achte darauf, dass er es bleibt, Adelaide.« Er nahm nur
einen kleinen Schluck Wein, saß schweigend neben ihr und hielt ihre Hand. Dann tat
er einen tiefen Seufzer, der ihm Schmerzen zu bereiten schien, und schaute zu
seinem Sohn

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