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Das Banner des Roten Adlers

Das Banner des Roten Adlers

Titel: Das Banner des Roten Adlers Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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sich um und sah einen stämmigen jungen Mann mit Lockenhaar und
hellblauen Augen, der sich mühsam seinen Weg zu bahnen versuchte und sich dann
zu ihm setzte. Er gehörte zur Partei der Grün-Gelben.
»Nichts verloren«, sagte Jim, »außer Schaum.«
     
»Dann darf ich Ihnen noch etwas Schaum bestellen. Sind Sie Engländer?«
     
»Jim Taylor«, sagte Jim und hielt ihm die Hand hin. »Und wer sind Sie?«
    »Karl von Gaisberg, Student der Philosophie. Ich bedauere, dass Sie sich das Gekläffe
dieser missratenen Hegelianer anhören müssen - wie das von diesem Glatz da
drüben«, und dabei zeigte er auf den Schreihals. »Was sagt er eigentlich?«, fragte
Jim. »Habe ich richtig gehört? Hat er von >Blut und Eisen< gesprochen? Das sind
Bismarcks Worte, nicht wahr?« Karl von Gaisberg machte eine abfällige Miene.
»Fauler Zauber. Ein Teil der Studentenschaft verehrt Bismarck und alles Deutsche.
Rasse und Blut und das heilige Schicksal Groß-Raskawiens. Nichts als Blech, wenn Sie
mich fragen.«
»Dann sind Sie also für Prinz Rudolf und die Demokratie?«
    »Unbedingt!«, sagte von Gaisberg. »Gewiss, der Prinz ist nicht vollkommen, aber er
ist unsere Hoffnung. Diese Burschen da würden uns in die Arme Bismarcks treiben mit verheerenden Folgen. Sogar Franz-Josef wäre eine bessere Wahl.«
    Da dies in etwa mit Daniel Goldbergs Einschätzung übereinstimmte und da Karl von
Gaisberg zu den lauten, fröhlich-sorglosen, aber anständigen Kameraden zu gehören
schien, für die Jim immer Sympathie empfand, bestellte er gleich noch zwei Krüge
Bier.
Während
er seine Bratwurst
mit
Sauerkraut
aß,
weihte
ihn
Karl
in
die
Hintergründe des Streites ein. »Wer ist denn dieser Leopold, den er ein paar Mal erwähnt hat?«, erkundigte sich Jim. »Prinz Leopold. Der älteste Sohn des Königs ...«
»Ich dachte, das sei Wilhelm gewesen, der ermordete Kronprinz?«
»Leopold war sein älterer Bruder. Der ist auch tot, schon seit vielen Jahren. Aber
sein Tod bleibt geheimnisumwittert - es gab damals einen Skandal, der vertuscht
wurde. Man spricht nicht mehr von ihm; überhaupt scheint es so, als wollte man
seinen Namen aus der Geschichte ausradieren. Glatz und seine Anhänger stricken an
einem Mythos. Sie sehen in Leopold einen tragischen Anführer, der von einer feigen
Anhängerschaft verraten wurde. Das ist ein guter Trick; so brauchen sie sich nicht
um die Wirklichkeit zu scheren.« Der geifernde Redner war mittlerweile so in Fahrt
gekommen, dass er die Mehrheit des Publikums in seinen Bann geschlagen hatte.
Jim bemühte sich zu verstehen, was er sagte, doch der schrille Klang seiner sich
überschlagenden Stimme machte es ihm nicht leicht. Aus dem Publikum kam ein
Zwischenruf: »Ihr wollt keinen raskawischen König, ihr wollt eine deutsche Marionette !«
    »Lüge!«,
schrie Glatz.
»Ich
will
ein
reinblütiges
raska-wisches
Königtum! Ein
Königtum, das einem Walter von Eschten würdig ist, keinen trippelnden Clown mitsamt seiner englischen Hure!«
Nach diesen Worten trat plötzlich Stille ein. Sogar die Blaskapelle hatte zu spielen
aufgehört. Alles schwieg; und dann schob Jim seinen Teller beiseite und erhob sich.
    Er zog seine Jacke aus. Karl von Gaisberg flüsterte: »Bleiben Sie sitzen, närrischer
Engländer! Glatz ist ein erstklassiger Säbelfechter - er wird Sie in Stücke hauen -« Jim
empfand einen leisen Triumph, als sich aller Augen auf ihn richteten; gleichzeitig
verwünschte er sich aber für seine Narrheit. Er war zum Auskundschaften hergekommen, nicht um als d'Artagnan aufzutreten. »Was wollen Sie denn?«, stieß Glatz
verächtlich hervor. »Das hier geht Sie überhaupt nichts an. Sie sind Ausländer.
Mischen Sie sich nicht ein.« »Da irren Sie sich«, widersprach Jim. »Erstens haben Sie
gerade etwas über eine englische Lady gesagt, das ich so nicht stehen lassen kann.
Und zweitens, auch wenn ich Ausländer bin, stehe ich doch felsenfest hinter Prinz
Rudolf. Wenn die anderen Gentlemen meine Hilfe annehmen, bin ich mit Freuden
dabei.«
Und
er krempelte sich
die Hemdsärmel
hoch
-
unter Zurufen
und
Tischklopfen der Grün-Gelben und begleitet von den Pfiffen der Rot-Schwarzen. Aus
den Augenwinkeln sah er, dass die Musiker eilig ihre Instrumente
    in Sicherheit brachten, ein klares Zeichen, dass die Keilerei gleich losgehen würde.
Da lehnte sich Glatz auch schon über den Tisch und ohrfeigte ihn. In der nächsten
Sekunde sah Jim vor seinem inneren Auge, welche Konsequenzen dies haben würde:
die offizielle Herausforderung

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