Das Banner des Roten Adlers
ihr in die Wangen gestiegen.
»Man erachtet es als angemessener. Gewiss, Fräulein Winter ist sehr begabt, aber -«
»Wer erachtet das? Ich jedenfalls nicht. Wollen Sie mir weismachen, dass der König
diese Idee hatte?« »Seiner Majestät ist sehr daran gelegen, dass Ihre Majestät über
den bestmöglichen Rat und Beistand verfügen. Dr. Unger ist ein Mann mit großen -«
»Ich wünsche Dr. Unger allen Erfolg auf seiner Laufbahn«, sagte Adelaide in eisigem
Ton. »Aber Fräulein Winter ist und bleibt meine Dolmetscherin. Und außerdem
entscheide ich, wen ich mir als Berater wünsche. Haben Sie mich verstanden?« »Ich
- selbstverständlich, ich -« »Guten Tag.«
»Vielleicht könnte Dr. Unger neben Fräulein Winter in beratender Funktion -«
Adelaide holte tief Luft, doch noch ehe sie etwas sagen konnte, schaltete sich Gräfin
Thalgau ein. Zu Beckys Verblüffung fauchte sie den Baron in Deutsch an: »Baron
Gödel! Muss ich Sie erst daran erinnern, dass Sie mit der Königin sprechen? Sie
haben die Antwort Ihrer Majestät gehört. Wie können Sie es wagen, weiter in sie zu
dringen. Fräulein Winter erfüllt ihre Pflichten - und mehr als das - stets bereitwillig
und mit großem Geschick und Taktgefühl. Ich kann mir keinen Mann vorstellen, der
es besser könnte. Sie beanspruchen ungebührlich die kostbare Zeit Ihrer Majestät,
also gehen Sie jetzt.«
Becky blieb in wortlosem Staunen. Der Oberhofmeister verbeugte sich und verließ
das Zimmer. Und wenige Augenblicke später ging der Unterricht weiter, als ob nichts
geschehen wäre. Die Gräfin zeigte die gleiche Haltung wie zuvor: kühl und sachlich
knapp. Becky betrachtete sie von nun an mit neuer, vorsichtiger Achtung.
Jim traf Karl von Gaisberg und die anderen Studenten des Richterbundes, sooft er
sich von den Pflichten bei Hof freimachen konnte. Gewöhnlich fand man die Studenten im Cafe Florestan, einem kleinen Kaffeehaus unweit der Matthiasbrücke,
dessen Wirt verschwiegen war und bei dem man anschreiben lassen konnte. Wenige
Tage vor der Krönungszeremonie nahm Jim auch Becky mit dorthin. Da sie sonst fast
ständig bei Hof gebraucht wurde, genoss sie es sehr, wie eine normale Bürgerin
durch die belebten Straßen zu bummeln. Doch als sie im Kaffeehaus bei einer Tasse
heißer Schokolade und einem Stück Torte saß, musste sie erkennen, dass aller
Augen
auf
sie gerichtet
waren.
Die Studenten
des
Richterbundes
miteinander,
ihr
Komplimente zu
machen,
ohne zu
erröten,
was
wetteiferten
bezaubernd,
verwirrend und peinlich war, und zwar in dieser Reihenfolge. Dann kam Karl von
Gaisberg. Jim stellte ihn Becky vor, und nun war sie diejenige, die errötete. Denn
Karl verbeugte sich vor ihr und applizierte ihr einen Handkuss. Zuerst dachte sie, er
mache nur Spaß, aber dann merkte sie, dass er es sehr ernst meinte und für diese
höfliche Geste seine offenkundige Schüchternheit überwunden hatte. Und sie hätte
ihn beinahe ausgelacht! Kein Wunder, dass sie errötete. »Gibt's was Neues?«,
erkundigte sich Jim. »Ich habe in allen Gasthöfen gefragt«, berichtete ein Student.
»Vor allem Journalisten sind abgestiegen. Ich habe fünf allein reisende Frauen
ausfindig gemacht, aber drei von ihnen waren über siebzig und die beiden anderen
hielten sich wegen irgendwelcher Gebrechen zur Kur in Andersbad auf. Sie sind zu
den Krönungsfeierlichkeiten nach Eschtenburg gekommen und kehren danach in
den Kurort zurück.«
»Halte trotzdem die Augen auf. Was hast du zu berichten, Gustav?«
»Ich habe im Zeitungsarchiv recherchiert. Über die Hochzeit von Prinz Leopold gibt
es wenig, aber die Zensur hätte sowieso eingegriffen. Dafür habe ich eine Meldung
über seinen Tod gefunden. Er soll unweit einer Jagdhütte im Ritterwald von einem
Keiler getötet worden sein. Der einzige Zeuge war der Jäger, der ihn begleitete - ein
alter Gefolgsmann der Familie namens Busch. Wir könnten ihn befragen, falls er
noch lebt.« »Das ist einen Versuch wert. Hans?« »Friedrich und ich haben Glatz
einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wir haben nämlich herausbekommen,
dass er den morgigen Besuch der Königin in der Bergwerksakademie stören will, und
ihm die Nachricht zugespielt, das Besuchsprogramm sei abgeändert worden, die
Königin werde stattdessen ins Konservatorium gehen. Er wird mit einer Bande
Unzufriedener
dort
auftauchen
und
niemanden
antreffen,
den
sie
ausbuhen
können.«
»Gut gemacht! Wie steht es mit den Plänen für die Krönungsfeierlichkeiten?«
Karl räusperte
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