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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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keinerlei Geschmacklosigkeit zuließ, bildete ich den durch gnadenlose Auftakelung noch einmal besonders kraß hervorgehobenen Fremdkörper.
    Wie man richtig aussah, erkannte ich, als sich die Tür des königlichen Ankleidezimmers öffnete. Zunächst traten die beiden Männer heraus, der lange, dünne und der chauffierende, seine Unabhängigkeit bis dahin deutlich zur Schau stellende Faun. Beide waren jetzt militärisch gekleidet, in enge Beinkleider, die ihre Beine besonders lang erscheinen ließen, und knappe Spencer mit Fangschnüren, Rangabzeichen und geflochtenen Schulterstücken auf der oliv-bräunlichen, dicken Wolle des Uniformtuchs, dazu dunkelrote Baretts, wie ich sie von Virah her kannte, und lange Stöcke aus Bambus, wie Polizisten sie mitunter trugen, um eine herandrängende Menge durch entschlossene Schläge in Schach zu halten. Woher hatten sie diese Stäbe genommen? Nicht aus dem Jeep jedenfalls. Der König hatte sie wohl, in einem seiner langen, der Reise vorangehenden Telephonate bereitstellen lassen.
    Und nun stand er selbst im Türrahmen. Der dünne Aide-de-camp, jener mir bereits bekannte soldatische Turbanwickler, hatte eine Meisterleistung vollbracht. Hoch türmte sich der Turban Seiner Hoheit in kunstvoller Asymmetrie. Das eine Ohr war durch eine Art voluminöses Kissen verdeckt, das andere lag frei. Der Turban war keine Bombe wie der meine, den ich einen Osmin-Turban, einen Eunuchen- und Haremswächterturban nannte, sondern ein geradezu zylindrischer Aufbau, bei dem das Ende des langen Schals oben wie ein Federbusch krönend heraussah, während das andere Ende als langer, leise wehender Schleier über den ganzen Rücken fiel. Seine Hoheit hatte einen weißen, hochgeschlossenen Kapitänsanzug mit goldenen Knöpfen angelegt, der entweder diese Reise durch den Staub, oder schon mehrere vorangehende, nicht unbeschmutzt überstanden hatte, bräunliche Schatten lagen um die Knopflöcher, aber in dieser Umgebung war das nur passend, ein fleckenloses Weiß hätte geradezu verletzend gewirkt. Er schritt auf die wartenden Männer zu, deren Mienen kein Staunen offenbarte, aber es war dennoch ganz deutlich, daß die Erscheinung der Hoheit sie nicht unbeeindruckt ließ. Die dynamischen Prozesse um den König herum habe ich schon mehrfach zu schildern versucht: wie sich in ihnen Ruhe, Warten, Zerstreutheit, Strukturlos-Werden der Zeit mit einem Aufrauschen, einem Überschäumen von festlicher Bewegung abwechselten. Der Aufbruch hatte auch hier unübertrefflich festlichen Charakter. Die beiden Soldaten, der inzwischen zu immer breiterer Selbstzufriedenheit angeschwollene Jung-Rajpute, dessen Seidenanzug jetzt das Gesamtbild vorzüglich ergänzte, und ich als mitgeführter Riesenzwerg aus der Wunderkammer des Palastes, wir vier bildeten eine königliche Entourage in nuce, und wenn da dereinst auch noch weiß und golden geschminkte Elephanten, leichte Reiter mit gesenkten Lanzen, hundert Sklaven in brokatenen Röcken, mit Pfauenwedeln und Schirmen hinzugekommen wären, so war in der Essenz auch jetzt alles da, was einen königlichen Einzug ausmachte.
    Ein stattlicher Mann mit brütendem Gesichtsausdruck, deutlich der Notable des Ortes, begleitete den König auf dessen rechter Seite. Ich hätte mich nicht gewundert, wenn der wilde kleine Fahrer dem König mit den Händen als Tritt gedient hätte, aber in gewohnter Elastizität hatte der König den Wagen schon bestiegen, dessen eigentlicher Vorzug jetzt hervortrat: Er war hoch genug für einen solchen Königsturban. Es war überraschend, wie nah sich in der flachen Einöde eine größere Siedlung befand, die vom Dakh-Bungalow aus noch gar nicht auszumachen war. Häuser, so graubraun wie der Wüstenboden, achtlos hingesetzte Würfel mit vergitterten Fenstern, dazwischen altes, bröckelndes Gemäuer, bildeten den Hintergrund für eine erwartungsvolle Menschenmenge. Bei der Anfahrt schon hörte man den Paukenschlag, darüber das Sirren einer pfeifenartigen Flöte. Aus der Menge stülpte sich tumultuarisch ein Festzug heraus, der dem König entgegen zog. Schöne junge Mädchen in schillernden Saris, mit denen sie auch ihr Haar bedeckten, traten näher und überreichten dem König rituelle Geschenke. Wasser wurde vor ihm ausgegossen, Nüsse wurden überreicht, die er mit den für ihn bezeichnenden zierlich-eleganten Bewegungen entgegennahm. Drei Frauen mit verschleierten Gesichtern brachten segensreiche Kokosnüsse und behängten den König mit feuchten

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