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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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eingeplant? Ausschließen kann ich es nicht, obwohl ich ihn von seinem Charakter her gesehen für außerstande hielt, humoristische Wirkungen bewußt anzustreben. An einem vielgestaltigen Gefolge hat das Volk abgelegener Provinzen immer etwas zu gaffen. Auch der Mohrenkönig mit seinem Turban um die Krone ist bei seinem Besuch in Bethlehem seinerzeit gewiß hemmungslos angegafft und vielleicht sogar ausgelacht worden. Das Gaffen gehörte zur festlichen Zelebration der Monarchie. Und ich selbst konnte mich nicht daran genug tun, von meinem Platz an der Seite des Königs zu betrachten, wie er lauschte, indem er dem Sprecher sein Ohr zuneigte, wie er bestrickend lächelte, grüßte, Begrüßungen, Huldigungen, Fußküsse in der manierlich unexpressiven Form flüchtiger Andeutung entgegennahm und auch das Wort an die ihn Umdrängenden richtete, die er sämtlich um einen Kopf überragte; nur sein dünner Aide-de-camp kam ihm an Größe gleich, war aber durch seine Stangenhaftigkeit keine Konkurrenz in Hinsicht auf die Imposanz des Körpers. Straff stand der König da, die Oberarme am Rumpf gehalten. Die Hände waren wie auf einer Statue ineinander gefügt, die untere ausgestreckte Hand bildete das Bett für die obere. Von diesem Bett erhob sie sich jedoch häufig in den mir vertrauten Gesten. Wenn der König etwas zählte, streckte er die rechte Hand aus, wies das Innen der Handfläche mit ihren feinen Falten dem Gegenüber und verband, um die Eins auszudrücken, Daumen und kleinen Finger, für die Zwei Daumen und Ringfinger und so fort. Dann pflückte er mit allen zusammengelegten Fingern ein Argument, das gleichsam in der Luft hing, und schleuderte es, wie ich es oft gesehen hatte, aus dem Handgelenk von sich, indem er die Hand spreizte und weit abgeknickt zurückfedern ließ. Ich hatte diese Geste als Manierismus empfunden, der allein dem König gehörte, als eine Art gezügeltes Handballett, das eine Truppe Palasttänzerinnen zu ersetzen bestimmt war, aber ich erkannte jetzt, daß es sich ganz anders verhielt. In Wirklichkeit war Prinz Gopalakrishnan Singh mit seinen müden Seehundsflossenbewegungen der Manierist, wenn man darunter verstehen will, daß er seine Gestik einem kalkulierten Regime unterwarf. Ich sah jetzt, daß viele der Männer in diesem letzten Wüstenwinkel dieselbe Gestik wie der König hatten. Auch sie pflückten in der Luft und warfen das Gepflückte dann effektvoll von sich, indem sie ihre überwiegend schönen, schmalen Hände spreizten. In ihrer Zierlichkeit und Femininität war es eine volkstümliche, geradezu bäuerliche Geste, die der König vor allem mit seinen schlichtesten Untertanen teilte, während Gopalakrishnan Singh den Weg seines Vetters Raj Vir Singh beschritten hatte und seine Hände jetzt wie große Lederlappen herumfallen und hängen ließ, wie es auf dem englischen Prinzencollege zu Ajmer durch Vorbild und Nachahmung gelehrt worden war.
    Um den König herum herrschte jetzt wieder Zeitlosigkeit. Das lange offizielle Programm war längst abgeschlossen, aber seine Privataudienzen fanden kein Ende. Immer mehr Männer traten auf ihn zu, legten den Kopf in den Nacken und schauten auf zu seinen gesammelten, aufmerksam feierlichen Gesichtszügen. So liebenswürdig er war, er belehrte streng und ohne Schonung.
    »Nichts auf der Welt ist so dumm wie die Demokratie«, das war nun schon mehrfach über die Köpfe der Anwesenden geflogen. Widerspruch kam keiner. Der geschmückte Jung-Rajpute stolzierte umher wie der Sohn reicher Eltern zwischen den Touristen, die den elterlichen Park besichtigen, Zugehörigkeit und Distanz demonstrierend. Die beiden Soldaten lehnten am Rande und rauchten, aber der Tag war noch nicht zu Ende.
    So prächtig, wie wir fünf aussahen, mich als Prachtgockel durchaus eingeschlossen, wünschte der König, noch eine Visite zu machen. Unversehens war der Aufbruch da, wir quetschten uns wieder in den Jeep. Aus den Händen des Monarchen floß reichlich unsichtbare Huld. Sein edles Kopfneigen zum Gruß wurde durch den Riesenturban noch betont. Dieser Turban war sein natürlichstes Kleidungsstück, es würde mir von jetzt an etwas fehlen, wenn ich ihn ohne Turban sah.
    In einer nahe gelegenen Provinzstadt von schon mittlerer Größe, durchaus betriebsamer als Sanchor, aber ganz formlos und zerfallen, war gerade ein Minister des Bundesstaates Radjastan zu Gast. Hier war die Heimat dieses Mannes, hier lag seine Hausmacht. Der Minister war ein mächtiger Mann. Er verwaltete

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