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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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orangefarbenen und gelben Blumengirlanden. Er mußte sein Kronenhaupt neigen, um das Blütenkollier umgehängt zu bekommen, aber das ging in höchster Geschmeidigkeit vor sich, er war solche Huldigungen gewohnt und unterzog sich ihnen mit seinem liebenswürdigen Strahlen, das, sowie Zeremonien nahten, auf seinem Gesicht erschien. Ein besonders hübsches Mädchen trat, unter beständigen laut donnernden Paukenschlägen, vor und malte auf die königliche, abermals fromm geneigte Stirn ein gelbes Mal aus hell leuchtender Farbpaste. Die Luft um uns herum war erfüllt mit den kleinen Geräuschen der Menge, die diesen Vorgängen zustimmend und mit äußerster Wachsamkeit folgte, unter den Paukenschlägen war ein Rascheln und Flattern, ein hellstimmiges, verhaltenes Rufen, das wie aus Vogelkehlen kam. Die Menge glich einem großen Truthahn, der in sich zittert und die Flügel ruckend ausbreitet. Ein flatterndes Beben lag über der Menge, aber kein naives »Hoch«-Rufen oder gar Händeklatschen.
    Jeder Schritt, den der König in diese Ansiedlung der neuen und alten gleichermaßen zerfallenen Häuser hinein machte, war eine bedeutungsvolle Inbesitznahme. Dies war wirklich eine Entrée joyeuse, wie das im Mittelalter geheißen hatte, wenn ein Stück Stadtmauer für den Einzug des Monarchen niedergelegt wurde, und hier gab es Steinhaufen genug, daß man sich vorstellen konnte, auch in diesem Dorf sei heute für den Weg des Königs eine Bresche geschlagen worden. Wenn dem König auf seinem Weg durch die Menge aber in aller Verhaltenheit deutliche Zeichen von Erwartung und Bewunderung entgegengebracht wurden, verwandelte sich die Stimmung, wenn ich schließlich hinterherkam, in Verblüffung und offenes Amüsement, bei den Kindern, die sich in großer Menge zwischen den Erwachsenen herumdrückten, natürlich ungehemmter, als bei den um die Wahrung der Feierlichkeit bemühten Erwachsenen. Man zeigte mit kleinen braunen Fingern auf mich, als sei mein Turban ein Ziel, das es mit dem Fußball zu treffen gelte.
    Spuren älterer Architektur wurden sichtbar; aus den Abfallhaufen, in denen kleine schwarze Schweine herumschnüffelten, als seien sie aus dieser Fäulnis selbst unmittelbar hervorgegangen, wuchsen behauene Steine, schöne Türstürze und Palastfensterchen, hinter denen es sich drängelte. Der König ließ einen diskreten Blick darüber schweifen. Ihn befriedigte dies verborgene und dennoch halb sichtbare Gedränge zu seinen Ehren. In einem auf einen Felsen gesetzten baufälligen Pavillon, der im Innern voller hübscher Wandschränke war – die abgeblätterten Türen standen offen und ließen die leeren Borde sehen –, erwartete den König ein geschrumpelter Ehrengreis in langem, nicht völlig reinlichem Talar, das entfleischte, zahnlose Köpfchen wurde durch eine Stirnbinde zusammengehalten. Hier neigte sich der König in Güte und Ehrfurcht und saß neben dem Ehrengreis, der die zitternden Hände über seiner Stockkrücke verschränkt hielt, auf einem braunen Plastiksopha, in ein zeremonielles Responsorium versunken, während die Menge vor dem Pavillon dem Ehrenbesuch wartend assistierte. Die Paukenschläge tönten nur noch schwach zu mir herüber.
    Hinter dem Pavillon war ein buntes, reich besticktes Zelt aufgeschlagen, durch die roten Stoffbahnen fiel warm gefärbtes Sonnenlicht, das Zelt blähte sich im Wüstenwind. Dreißig junge Männer mit hohen safrangelben Fürstenturbanen knieten auf dem Boden, die Absolventen des örtlichen Gymnasiums, das gebeten hatte, Seine Hoheit möge dies Jahr die Abschlußzeugnisse austeilen. Lange Begrüßungsreden auch hier, weitere Girlandenernten, auch um meinen Hals lag es nun blütenfeucht und schwer herum, der triumphierend um sich blickende Jung-Rajpute, als Vasall und Kämmerer, war von Blüten wie mit einer Halskrause umgeben. In dem Maße, in dem der Formzwang von der Veranstaltung abfiel, nachdem alle Schüler die Füße des Königs andeutungsweise umfaßt hatten und ihr Zeugnis in Händen hielten, und nachdem alle Anwesenden mit Geduld und hohem Ernst einer Darstellung der gesamten Geschichte der Dynastie von Sanchor, vorgetragen von des Königs eigenem Mund, gelauscht hatten, wurden »Erfrischungen gereicht«, wie es einst in Deutschland hieß, und nun brachen auch die letzten Dämme der Zurückhaltung gegenüber meiner Erscheinung. Kinder umdrängten mich in Haufen und wollten sich ausschütten vor Lachen. Ahnte der König diesen Effekt seiner Inszenierung? Hatte er ihn

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