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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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künstlerischen Vorhaben. Ein ganzer Stab sei mit der Vorbereitung befaßt, aber wenn man genau hinsehe – ein tragischer Zug erschien um ihre Augen – sei es dann immer nur sie, die arbeite. Das Wort »arbeiten« sprach sie mit besonderer Emphase, eine pathetische Untertreibung könnte man es nennen. Eine Heldin der Arbeit sprach, die ihr Leben lang im Geschirr geht und es verschmäht, auf die Leistung von gestern auch nur zurückzublicken.
    »Ich motiviere mich zu Tode«, sagte sie dunkel. Was meinte sie damit? Ich versuchte, diese Bemerkung zu verstehen. Ich stellte mir vor, daß sie selbst ihre Antriebskraft aus ihren Lebensreserven hervorbringe und dieselben dadurch aufzehre – war es das, was sie sagen wollte? Ich wußte noch nicht, daß sie Fremdwörter wie Joker benutzte, die in jede Satzlücke und gleich welchen Zusammenhang hineinzupassen hatten. Manon erwartete, daß ich sie verstand, also verbot sich jede Rückfrage. Vor ihr standen Teller mit Schinken, Lachs und Käse, die sie sich vom Frühstücksbüffet geholt hatte, auch ein Rührei war bestellt worden, sie hatte genaue Vorstellungen, wie dies Rührei gemacht werden solle – mit Sprudelwasser, das war von entscheidender Wichtigkeit. Als es dann kam, war sie satt von dem Schinkenbrötchen und probierte nur noch eine Gabel.
    »Das schmeckt gut«, sagte sie fromm und still und schob den Teller von sich. Nein, nach Indien sei sie noch nie gereist bisher, aber sie sehne sich jetzt schon dorthin.
    »Ich will schöne Steine und schöne Stoffe kaufen und mich mit Öl beträufeln lassen und die Fußsohlen mit Zimt einreiben«, dies kam träumerisch wie von einem kleinen Mädchen, das dem Zug der Wolken aus einer Dachluke folgt. Aus all dem werde aber nichts, denn die Reise stehe im Zeichen der Arbeit.
    Welcher Arbeit? Manon bat um einen Augenblick Geduld. Sie mußte telephonieren. Die Nummer war schon eingegeben, ihr winziges Telephon glich einer Puderdose. Während sie lauschte, kräuselte sie die Stirn.
    »Ich möchte bitte Professor ... sprechen«, sagte sie mit einer gewissen Strenge im Blick. Sie hatte so schnell und undeutlich gesprochen, daß ich den Namen nicht verstand. Im Hörer quäkte die Antwort. Sie klappte ihre elektronische Dose zu und wandte sich wieder an mich. War sie verstimmt? Ein wenig angespannt vielleicht. In ihrem jugendlich weichen Gesicht zeigte sich plötzlich ein Anflug von Härte. Aber die Vorstellung von der Wichtigkeit ihrer Arbeit nahm sie alsbald wieder gefangen. Einer ihrer Freunde – Manon war kein Snob und mußte keine berühmten Namen fallen lassen, um mich zum Staunen zu bringen – war dabei, einen wahren Feldzug in Szene zu setzen, der durch alle zahlungsfähigen Länder Europas führen sollte, einen Triumphzug aus Akrobatik, Zauberei, Gaukelei, Dressur, »ein Fest der Phantasie«, sagte Manon etwas kühl, das war nicht ihre Formulierung, und als sie sah, daß ich ihre Distanz mit einem Lächeln belohnte, ging sie darauf sofort ein und erklärte, Wörter wie Phantasie oder Kreativität – sie betonte überdeutlich und höhnend auseinandergezogen Kre-aaa-tiii-viii-tät – könne sie schon längst nicht mehr hören, es werde damit Schandluder getrieben – »Schindluder«, verbesserte ich Idiot und erhielt zurecht den Verweis, das sei dasselbe. Schlangenbeschwörer mit armdicken Schlangen, die Schweine erdrosseln konnten und das vor Publikum auch taten, Magier mit dem Seiltrick, die tausend Zuschauer unter das Joch ihres Willens zwangen, eine Tiger- und Elephantendressur und als Krönung ein bengalisches Feuerwerk – dies seien die Höhepunkte eines Programms, das durch gestickte Kostüme, echt indische Musik und »poetische Texte« verzaubern solle. Es sei Unesco-Geld in der Sache drin, auch der Kulturfonds der Europäischen Union wolle einen Teil der Kosten tragen. Tatsächlich gebe es erstaunliche Höhepunkte: Sie denke vor allem an einen Fakir, der einen ausgewachsenen Löwen vor den Augen des Publikums wegzaubere – einen großen Löwen! Dies sei der Höhepunkt der Manipulation ihres Freundes – ich verstand endlich ohne Zwischenfragen, daß sie von »Konzeption« sprechen wollte: Aus der Überfülle zum Nichts zu gelangen, das reize ihn. Er stelle sich vor, daß ein Chor singender Liliputaner mit Riesenturbanen Stück für Stück weggezaubert werde, eine musikalische Zwergenarmee, die ins Nichts ziehe, und was dergleichen große Einfälle noch mehr seien.
    Und sie sei die Anwerberin dieser zur Auflösung

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