Das Beben
Manons Haar, das sie daraufhin in dicken Pudellocken umstand, fuhr mit den pratzenartigen Händen hindurch, zerstörte die künstliche Lockenpracht, bürstete daran herum, sprühte und griff immer wieder mit den Händen zu, und schließlich sah Manon aus wie gestern abend, nur um eine Nuance flauschiger, kükenartig frischgeschlüpfter, von Frühlingswinden durchpusteter. Sie küßte Herrn Haag auf den Mund, und er ließ sie ziehen wie ein gerührter Vater, der im Bahnwärterhäuschen einen jungen Schwan großgezogen hat. Ihre großen Augen glänzten, ihre Lippen blühten. Sie war jetzt geradezu furchterregend schön, eine schöne Fremde, die sich in meine Stadt verirrt hatte und sich unbegreiflich genug nun gerade an meinen Arm schmiegte, um mich, während wir über die dichtbefahrene Straße gingen, mit aller Kraft festzuhalten.
6.
Schlechte Manieren
Manon gehörte mir ganz und gar, mit Haut und den soeben derart kundig gepflegten Haaren. Sie hatte Zeit für mich, denn die Beschäftigung mit dem »Indisch-magischen Zirkus« des Meisters hatte sie von sich gestoßen, nicht ganz so heftig übrigens, wie ich das nach ihrem Ausbruch im Hotelzimmer erwartet hatte. Mir war zunächst, als glaube sie, an dieser »rein organisatorischen Tätigkeit«, wie sie sagte, festhalten zu sollen. Stand sie bei ihrem Liebhaber etwa unter Vertrag? Nein, das nicht gerade, obwohl der Meister in seiner nächsten Umgebung sonst alles vertraglich regelte. Keine seiner Mätressen oder Ehefrauen schwebte im unklaren über das, was von ihm zu erwarten sei: wenig oder gar nichts. Was er überhaupt zahlte, gewährte er stets ohne Anerkennung einer Rechtspflicht. Nur mit Herrn Tofet konnte er nicht so despotisch verfahren: »Tofet hat ihn mit irgendwelchen Sachen fest am Wickel.«
Manon erklärte plötzlich, es sei »unprofessionell«, ein Ausdruck, der mich aus ihrem Mund mit besonderer Rührung erfüllte, wenn sich das Persönliche und das Geschäftliche derart verwische, daß sie bei einem Ende ihrer Liebesbeziehung mit dem Meister auch das Arbeiten für ihn aufgebe.
»Wo ist denn das Geschäft, wenn du kein Geld für deine Arbeit bekommst?« fragte ich und erhielt ein listiges Lächeln zur Antwort. Hieß das, daß sie sich über ihren eigenen treuen Biedersinn amüsierte, oder hatte sie mir nur einfach nicht mitgeteilt, worin eigentlich das Geschäft mit dem Meister bestand? Den Meister aufgeben, das bedeutete in ihrem Leben eine große Veränderung. Da gab es nicht nur den Geliebten mit seinen Reisen, seinem Auftreten bei Ausstellungen und Kongressen, bei der Entgegennahme von Preisen und Einweihungen, sondern auch den Apparat, den er unterhielt und in den Manon einbezogen war. Für sie war vor allem Herr Tofet zuständig gewesen. Er holte sie im Wagen ab und brachte sie, wohin der Meister sie haben wollte. Er reiste mit ihr, er bestellte ihre Flugtickets, arrangierte ihr Hotel, begleitete sie beim Einkaufen und war das Sprachrohr seines und ihres Herrn. Hörte man Manon, war Tofet allgegenwärtig, täglich um den Meister bemüht und zugleich mit Augen und Ohren bei allen Affären, die die gemeinsame Firma betrafen, und selbstverständlich auch immer im Dienst der Frauen, die gerade seine Gunst genossen. Manon schilderte, ohne sich zu schonen, wie kläglich sie sich oft vorgekommen sei, als Maîtresse en titre – das war mein Ausdruck, den ich sofort bereute, denn ich mußte ihn ihr erklären, und das verführte mich zu redseligen Auskünften über Louis XV., die uns weit von ihren Geständnissen wegführten. Oder fürchtete sie, schon zuviel preisgegeben zu haben? In meinem Interesse wäre es gewesen, die gesamte Meisterei so weit wie möglich von uns wegzuschieben: am besten gar nicht mehr über den Mann zu sprechen, ihn einer Erinnerungsverdammung anheimfallen zu lassen.
Aber da war meine Neugier, in deren Zeichen wir uns kennengelernt hatten. Ich hatte es noch immer nicht übers Herz gebracht, Manon von dem Photo zu erzählen. In das Fundament meiner Liebe zu ihr war dies Heimlichtun eingemauert. Und diese Absicherung meiner Überlegenheit über sie, ein Element wirklicher Bosheit, trieb mich dazu, sie zu verleiten, über den Meister zu sprechen, stets mit der verhohlenen Absicht, ihre Worte auf deren Wahrscheinlichkeit abzuwägen. Sie kam meinem Bedürfnis arglos nach. Auch sie wollte über ihren Freund sprechen, den sie verlassen oder der sie verstoßen hatte, das wurde nie vollständig klar.
Es gab auch gegenwärtig eine
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