Das Beben
worüber wir uns unterhalten haben, außer wenn wir uns stritten und ich sie mit Vorwürfen überschüttete, manchmal bitter, dann wieder sarkastisch. Wir haben uns möglicherweise überhaupt nicht unterhalten, obwohl ich mich in ihrer Gegenwart pausenlos sprechen sehe. Einmal sagte sie zu mir, sie habe von mir geträumt. War das nicht ein zweifelhaftes Kompliment? Hieß es nicht, einer Person ein gewisses Gewicht im eigenen Leben zuzuerkennen, wenn man von ihr träumte? Sie habe im Bett gelegen, sagte Manon, und ich hätte neben ihrem Ohr beständig den Mund weit auf- und zugemacht, ohne daß sie etwas verstanden habe, einen Sturzbach von eindringlichen, aber unverständlichen Mitteilungen hätte ich über sie hinwegrauschen lassen.
Ich weiß nur, daß ich in ihrer Gegenwart stets beflissen war, daß keine Stille aufkomme. Während ich sprach, betrachtete ich sie. Ich habe mich an ihrem Gesicht nie satt sehen können. Die großen grau-beigen Augen, die vollen, blaßrosa, gelegentlich grau-rosa Lippen mit den weißen Zähnen dahinter, die kleinen Ohren, das grau-blonde Haar, wie mit feinster Asche gepudert, dies alles enthielt Botschaften, die kein Wort hätte ausdrücken können, obwohl alles in schönem Licht und anschaulich vor mir ausgebreitet war. Sie zeigte sich hemmungslos und ließ sich betrachten, und ich sah sie wie ein hungriger Hund, unnennbare Verheißungen ahnend und nichts von dem, was sich da offenbarte, in den Griff bekommend. Sie verkörperte für mich die höchste Form des Geheimnisses, das »heilig offenbar Geheimnis«, von dem Goethe spricht, das wie eine zweite, durchscheinende Haut über der Oberfläche der Dinge liegt, nichts verhüllt, nichts hinzufügt und immer nur angesehen werden will. Ich ging gern mit ihr in helle Restaurants, nicht nur weil mich ihre Gewohnheit nervös machte, während meiner Monologe den Kerzendocht zu richten und farbige Wachsinondationen auszulösen, sondern auch weil das helle Licht ihr anders als den meisten Frauen nicht schadete. Ich hatte keinerlei Bedürfnis nach »romantischer Stimmung« mit ihr, wie man sagt, wenn nicht viel zu sehen ist. Ohnehin lagen unsere Liebesstunden oft nachmittags. Wir waren schon lange zusammen, ohne bisher eine ganze Nacht miteinander verbracht zu haben. In dem Gesprächsbrausen unter den weißen Deckenlampen erlebte ich kontemplative Stunden, während sie mit ihrer Gabel auf meinem Teller spazierenging und nachdenklich aufspießte, was sie beim Bestellen noch gar nicht hatte haben wollen. Leider blieben wir nicht immer ungestört. Helle, gutbesuchte Orte steigern die Wahrscheinlichkeit, Bekannten zu begegnen. Meine Lust darauf war klein, aber ich wußte, daß Manon sich gern in einem Saal aufhielt, wo sie von rechts und links gegrüßt wurde. Und ich muß auch bekennen, daß ich es stets ein wenig genoß, mit ihr aufzutreten. Sie war auf eine beiläufige Weise auffällig. Im Winter trug sie große Mäntel, die mit seltenen Pelzen gefüttert waren, und wenn sie im Sommer nur ein dünnes Hemd auf dem Leib hatte, war erst recht eine spürbare Aufregung um sie, bis sie endlich saß und die große Tasche verstaut war. Die Leute sahen mehr oder weniger diskret zu ihr herüber. Auch auf mich fielen Blicke, weniger freundliche als abschätzende: Hat der Kerl eine solche Frau verdient? Kann der Kerl eine solche Frau halten?
Ja, ich gebe zu, ich war in diesen Augenblicken ebenso stolz und befangen wie ein Student, der in einem ausgeliehenen Cabriolet vorfährt. Und es kamen dann auch Männer an den Tisch, die arglos taten, aber die Lage prüfen wollten. Wem es um Blicke zu tun war, der fuhr bei Manon reiche Beute ein. Sie konnte gar nicht nichtssagend blicken. Wenn ihr ein Fremder vorgestellt wurde, war ihr Blick dunkel und prüfend, womöglich geradezu ein wenig furchtsam, man sah afghanische Nomadenfrauen mit Schleiern in herrlichen Farben und mit unergründlichen Augen vor sich, die voll Neugier, Scheu und Xenophobie den Ausländer begrüßten. In Manons Gegenwart gab es einfach keine unverbindliche Atmosphäre. Nach wenigen Worten zogen sich die Vorgestellten zurück, beschwingt von der Vorstellung, in einem schwer bewachten Harem eine Eroberung gemacht zu haben. Das war noch der willkommenere Fall. Andere unternahmen den Versuch zu bleiben.
Mein letzter Abend mit Manon – nein, nicht der letzte, es folgten noch viele, die mir heute aber blasser vorkommen wollen, von einer Vorahnung des Abschieds gezeichnet – wurde von solch einem
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