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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Ehefrau des Meisters, und es gab aus früheren Ehen Nachkommenschaft, die gleichfalls Rechte geltend machte. Wenn ich das Indiz des besessenen Telephonierens deutete, mochte es um Manons Versuch gegangen sein, eine Forderung durchzusetzen, vermutlich nach Ausschließlichkeit ihrer Beziehung, woran aber gar nicht zu denken war. Der Mensch war nicht geboren, der dem Meister etwas abtrotzte, was der nicht herausrücken wollte. Ich glaubte, inzwischen sicher sein zu dürfen, daß es keine Verbindung mehr zwischen Manon und diesem Mann gab, der ihr Vater hätte sein können, wie sie selbst es vorwurfsvoll und sanft vor sich hinsagte. Wenn sie über ihn sprach, zeichnete sie am Porträt eines Monstrums. Sie gab mir das Gefühl, daß sie von einem Alpdruck befreit sei. Sie scheute sich nicht, mir zu danken, daß ich ihre Flucht ermöglicht hätte. Zwar sei Tofet gelegentlich noch in der Nähe ihres Elternhauses, aus einem Rhododendron- oder Kirschlorbeerbusch tretend, auf sie zugekommen. Verborgen hatte er auf sie gewartet, um sie im Wagen zu seinem Kompagnon zu bringen, aber von dem Alten selbst hatte sie kein Wort mehr gehört und gelesen.
    »Er glaubt, daß ich einem von Tofet überbrachten Befehl ganz einfach gehorche«, sagte sie nachdenklich. Völlig in die Irre gehe diese Annahme nicht. In früheren Zeiten habe sie sich tatsächlich schon von Tofet halb unwillentlich zum Meister zurückbringen lassen. Wenn der Meister seinem Freund eine Anordnung erteile, kehre Tofet alsbald mit einem Erfolgsbericht zurück. Für den Meister sei eine Angelegenheit in dem Augenblick erledigt, wo er Tofet angewiesen habe, sich darum zu kümmern.
    Sie gebe etwas darum, das Gesicht des Meisters gesehen zu haben, als Tofet allein zurückgekehrt sei. Fassungslos müsse der große Befehlshaber gewesen sein. Aus solchen Worten sprach für mich die Endgültigkeit ihres Trennungsentschlusses. Daß dieser Entschluß wahrscheinlich nicht die Folge der ihr seit langem bekannten Charaktereigenschaften des alten Mannes war, sondern allein auf »ihrer hohen Willkür«, wie die alten Könige einst sagten, beruhte, beunruhigte mich nur gelegentlich. Ich sagte mir, daß auch meine eigene Leidenschaft im Grund nicht von Manons Qualitäten ausgelöst werde, sondern von letztlich unergründlichen Reizen. Die Kerze des Alten war einfach heruntergebrannt, seine Flamme war erloschen. Seinen Geiz, seine Falschheit und Rücksichtslosigkeit verzieh sie ihm, seit sie nicht mehr darunter zu leiden hatte. Seinen erotischen Geschmack behauptete sie, stets sonderbar gefunden zu haben, aber ein Trennungsgrund war das gewiß nicht.
    Sie sprach plötzlich von dem Tag, an dem er mit ihr und Tofet in Paris Wäsche einkaufen ging; das knappe Ding aus Schnüren, die zwischen den Backen des Hinterteils verschwanden, stammte auch aus diesem Kauf, bei dem Tofet wie immer zu Rate gezogen worden war und sie kalt und kennerhaft gemustert hatte. Das gefiel dem Meister. Die Seidenstrümpfe mit dem dehnbaren Spitzenrand, die sie sofort anziehen mußte, waren gegenüber dem Höschen-Takelwerk geradezu diskret gewesen, aber es fiel ihr doch der Eifer auf, mit dem der Meister im Geschäft ihren Rock hochzog und Tofet darauf hinwies, wie ihre eigentlich recht straffen Schenkel über der stramm sitzenden Spitzenmanschette der Strümpfe hervorquollen. Vor Tofet hatte sie freilich nicht die geringste Scham angewandelt. Er war ein Dienstbote, geschlechtslos, obwohl er den Frauenkenner gab.
    Auf einmal befanden wir uns in einer nächtlichen, verzauberten Welt. Die Ereignisse, die sich an den Kauf der Strümpfe anschlossen, erzählte Manon wie einen Traum, der sie noch lange nach dem Erwachen beschäftigte. Ob ich in Paris den großen Park kennte, den Wald im Westen der Stadt? Der Bois de Boulogne hatte in ihrer Schilderung eine Liebesgeographie, einer Landschaft aus den Romanen der Mademoiselle de Scuderi mit ihren Tälern der Seufzer, Bächen der Hoffnung und Felsen der Treue vergleichbar. Nur daß die Liebeslandschaft der Precieusen weniger auf die erotischen Spezialitäten eingestellt war als der moderne Bois. Glaubte man Manon, fand dort jeder Geschmack sein Gebüsch. Das Wäldchen der Koprophagen lag neben dem Hain der Masochisten. Tofet kannte sich aus in dieser Geographie und lenkte vom Rücksitz des Mercedes den chauffierenden Meister auf nur von wenigen Laternen erhellten Wegen. Es hatte geregnet, durch den Spalt des geöffneten Fensters drang appetitliche Kräuterluft. In einer

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