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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Haag, der respektvoll Gesiezte, seinerseits Manon duzte und sie »Manonchen« nannte, »Manongsche« genaugenommen, was ein wenig wie ein deutsch ausgesprochenes »Annonce« klang.
    Manon schien verzagt. »Ich weiß nicht, was mit meinen Haaren los ist«, sagte sie in tiefer Trostlosigkeit. Sie vermute, bald schon überhaupt kein einziges Haar mehr zu haben. Wie Stroh sei ihr Haar, leblos. Sie verwende alle neuen Flaschen, die Herr Haag ihr empfohlen und mitgegeben habe, aber ohne Erfolg. Ich wußte schon, daß Herr Haag an die Entwicklung eigener Produkte für die Haarpflege dachte und sogar schon Musterflaschen aus schwarzweißem Kunststoff hatte entwerfen lassen, mit unförmigen Schraubdeckeln, die größer als die gesamte Flasche waren, obwohl er doch nachweislich niemals Glück mit solchen Eigenunternehmungen gehabt hatte. Manons Eltern, die den Anfang der Produktion wirtschaftlich begünstigen sollten, wären dazu grundsätzlich auch bereit gewesen, wenn Herr Haag ihnen einen fähigen Kompagnon präsentiert hätte. In ihrer Absage war wieder von Haags Künstlertum die Rede: Er brauche jemanden, der ihn beschütze, hieß es, und Haags Antwort, das gebe es heute nicht mehr, die Menschen dächten alle nur an sich selbst, enthielt auch Stolz. Er war davon überzeugt, daß er Anspruch auf bedingungslosen Schutz besitze. In solchen Flaschen, solchen Pflegeserien, wie es in Haags Profession hieß, wenn ein und dasselbe Parfum den unterschiedlichsten Inhalt verkaufen sollte, seien keine Zaubereien enthalten. Manons Haar könne nur so glücklich sein, wie sie selbst. Das Haar sei der Spiegel von Herz und Seele.
    »Ach, ach, ach«, klagte nun auch Manon, leicht komisch und doch auch bitter. Sie schlafe schlecht und fühle sich so unruhig.
    »Das ist kein Wunder«, sagte Haag, sie unternehme einfach zuviel, sie schone sich nicht. Das Leben sei so anstrengend. Heute früh, anstatt auszuschlafen, habe sie zum Friseur gemußt, jetzt warte schon ein Mittagessen, dann müsse man packen, um nach Baden-Baden zu fahren.
    Manon lachte, wie sie bei mir noch nie gelacht hatte, nicht besonders laut, aber vernünftig und zufrieden. Sie ließ sich gern von Haag ausschimpfen und ein wenig verspotten. Ich wurde Zeuge einer Intimität, die ich mit ihr nie erreichte. Ich vermute, daß Manon bei Herrn Haag eine Ehrlichkeit möglich war, die ihr sonst verschlossen blieb. Er führte sie und ließ sich von ihr führen. Sie hatten voreinander keine Verstellung nötig, keiner spielte dem anderen etwas vor. Nichts gab es, was Herrn Haag aus dem Gleichgewicht gebracht hätte, wenn sie es ihm gestand, außer vielleicht wenn ihr Vermögen verloren wäre. Auf Manons Seite gab es für Haag noch nicht einmal diese Einschränkung. Sie konnte kein finanzieller Verlust und keine Entgleisung seines Liebeslebens erschrecken. Wie sollte man solche Vertraulichkeit ohne Illusionen nennen? Stammte sie aus dem Bordell oder der Galeere?
    Aber solche von der Eifersucht eingegebenen Gedanken streiften mich nur flüchtig. Ein anderes Wort war von viel größerer Bedeutung und durchflutete und durchströmte mich mit der dankbar empfundenen Hitze einer Thermalquelle: Baden-Baden. Sie fuhr also wirklich nach Baden-Baden. Ich mußte nicht gewärtig sein, sie unversehens an ganz anderer Stelle zu wissen, in den faltigen Armen des Meisters womöglich. Wenn sie überhaupt log, brachte Manon die Mühe, zweimal zu lügen, üblicherweise nicht auf.
    Ich sah in die Kabine hinein. Ihr Kopf war von großen Papilloten umgeben. Sie sah aus, als trage sie eine exotische Krone. Ich konnte durch die Lockenwickel hindurchsehen, Teile meines Gesichts erschienen zwischen ihnen im Spiegel. Als sie mich erkannte, lächelte sie und stellte mich Herrn Haag vor, dessen Aussehen mich noch mehr verblüffte als seine Stimme. Er war sechzig, nicht sehr schlank und trug Jeans und einen weißen Kittel, als arbeite er in einer Polsterwerkstatt. Auf der mit Altersflecken bedeckten Haut seiner Brust lag eine ägyptische Hieroglyphe in Gold. Wollte er damit die Hoffnung ausdrücken, auch nach dem Hingang dieses Leibes irgendwie weiterzuleben? Er, der Meister der Färbekunst, der mit Manons Haar solch undurchschaubare Kunststücke vollbrachte, war bei sich selbst achtlos mit den Farbtuben umgegangen. Buttergelb strahlte sein Haar, darunter lächelte ein wohlwollendes Bauerngesicht. Ich vergaß, daß ich ihn eben noch unbestimmt widerwärtig gefunden hatte. Mit flinkem Griff nahm er jetzt die Rollen aus

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