Das Beben
Schwächen zum Anlaß nahm, sie um so umsichtiger vor einer verständnislosen Umwelt zu schützen. Auf Knien hätte ich dem Himmel danken mögen, gegenüber Manon nicht den Schimmer eines Verdachts geäußert zu haben. Ich hatte allein gelitten und empfing deshalb ungeteilten Lohn.
Wir lebten nicht zusammen, dazu waren unsere Wohnungen noch nicht eingerichtet – und dieses »noch« war jetzt stets in meinen Gedanken –, aber so hatte sich auch keine Routine gebildet. Jedes Zusammentreffen war ein unverhofftes Fest. Gegenwärtig hatte Manon die Lust an ihrer Wohnung vollständig verloren und war zu ihren Eltern gezogen. Dort wurde sie am Frühstückstisch erwartet, wie spät sie auch nach Hause gekommen sein mochte. Aber zum Mittagessen waren wir oft wieder vereint. Oft kehrte ich am Nachmittag, manchmal wurde es vier oder halb fünf, deutlich beschwingt ins Büro zurück. Anna Pfeiff musterte mich ironisch und zitierte Kommentare aus dem amerikanischen Geschäftsleben: »Lunch is for losers«, oder sie behauptete, was gar nicht zu ihr paßte, ich sei »voll des süßen Weines«. Ihre Skepsis fügte meinem Glück einen spitzigen Akzent hinzu. Ich war stolz, daß sie mir mein Glück ansah. Es war offenbar objektiv so groß, daß es mir aus allen Poren herausschlug. Das war mein Zustand, als mich das Verhängnis traf.
Sicherheit, Strahlen, Heiterkeit, Stolz, Selbstgewißheit. Was an jenem verfluchten Mittwoch und Donnerstag geschah, will ich so knapp zu Protokoll geben, daß die Mechanik sichtbar wird, die den Felsen, auf dem ich ruhte, behutsam lockerte. Wer behauptet, daß solch ein Fels aus Zufall stürzt? Zufälle gibt es nicht, wie man gern behauptet, solange nichts so Schlimmes geschieht, daß plötzlich auch die Feinde des Zufalls sich vorstellen wollen, alles hätte doch auch ganz anders kommen können. Es verblüfft allerdings, wenn man sieht, von wie weit her die verschiedenen Kausalitäten sich aufeinander zubewegen, um dann schließlich verheerend aufeinander zu prallen.
Am Mittwochmittag sagte Manon mir zum Mittagessen ab, nachdem wir uns erst um fünf Uhr morgens getrennt hatten. Sie sei ein wenig krank. »Es geht mir nicht so gut«, hieß das bei ihr, ein Satz, den alle Frauen offenbar verstehen, der Männern aber geheimnisvoll bleibt – »Ich bleibe heute am besten im Bett«. Ich möge auf ihren Anruf warten und die Eltern nicht beunruhigen, die bei meinen Anrufen neuerdings immer Fragen stellten. Nichts war leichter als das. Ein Manon-freier Tag war hochwillkommen. Anna Pfeiff war mit mir zufrieden – »So sollte es immer sein«. Abends rief Manon an. Es gehe ihr allmählich besser, aber sie sei noch zerschlagen. Eine entzückende Schilderung ihrer Krankenkost folgte: heiße Schokolade, heiße Bouillon, ein mit Zucker und Marsala gequirltes Ei, Zeugnisse mütterlicher Pflege. Ich sah mit halbem Blick zum Fernsehen hinüber, wo eine Kultursendung lief. Soeben kündigte die Sprecherin an, der Künstler und Allround-Genius, Manons einstiger Meister, stelle heute in Wien auf einer Pressekonferenz den »Indisch-magischen Zirkus« vor. Manon lachte, ein köstlich warmes Lachen. Wie froh sie sei, von diesem Zirkus losgekommen zu sein.
Vermisse sie wirklich nichts? Nein, nichts, sie sei von einer Riesenlast befreit. Ich machte das Fernsehen aus und wandte mich wieder ganz ihr zu. Ich war unersättlich in meinem Wunsch, immer wieder zu hören, daß sie mich vermisse, und sie ging liebevoll und großzügig darauf ein.
Tief nachts ein weiterer Anruf: Herr Sörensen aus Kopenhagen, der Geschäftsführer der dänischen Investorengruppe, hat morgen früh um sieben Uhr eine Stunde Aufenthalt auf dem hiesigen Flughafen und bietet eine Besprechung an, die uns viel schriftliches Hin und Her ersparen würde. Ich sage ihm mit Freuden zu. Kurz danach ein flüsternd zärtlicher Anruf von Manon, die gute Nacht sagt.
Das Treffen am Donnerstagmorgen in der Senator’s Lounge war das frühe Aufstehen wert. Die Bekanntschaft mit Herrn Sörensen gibt mir die Hoffnung, mit ihm und seinem Haus vorzüglich arbeiten zu können. Obwohl keiner von uns beiden gefrühstückt hatte, schlug Sörensen, der ein kugelrundes, purpurrotes Gesicht hatte, ein Glas Champagner vor. Wir trennten uns als alte Freunde.
Ich schlenderte etwas ziellos durch die Hallen. Ich faßte den Entschluß, vor der Fahrt in die Stadt noch einen Kaffee zu trinken. In der Nähe der Kaffeebar ist ein Ankunftstor, in gewissen Rhythmen quellen soeben gelandete
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