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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Unterhemd hervorsah, und langen, dünnen Armen mit harten Muskeln. Er schwitzte, aber er war gut gelaunt und begrüßte mich lächelnd. Er sprach ein bißchen Französisch. Stolz zeigte er auf drei Spachtel, die er beim Abkratzen schon abgeschliffen hatte, ihre einst spitzen Ränder waren rund geworden, die Arbeit war übermäßig schwer und mühsam. Der Küchenboden schien eine Art Zimmersteinbruch. Aber der junge Araber war unerschrocken. Zwei Quadratmeter etwa hatte er schon freigelegt. Die achteckigen Fliesen sahen schön sauber aus einem See von braunschwarzem Teer hervor. Die Arbeit lohnte sich. Sie war hart, und sie machte ihm Spaß.
    »Je veux faire un bon travail«, sagte der Araber und betonte, auf Knien vor mir liegend, das Wort »bon«. In ihrer Tüchtigkeit hatte Anna Pfeiff nur versäumt, ihn mit ordentlichem Arbeitsgerät auszustatten, wenn er selbst schon nicht wußte, was er zu diesem Abkratzen brauchte. In jedem Baumarkt gibt es rasiermesserscharfe Kratzer, mit denen man in einem Ratsch splitternde Straßen in die verpapptesten Krusten hineinschneiden kann. Der junge Araber aber wäre auch bereit gewesen, die Kruste mit seinen Fingernägeln abzukratzen, die, wie ich bemerkte, schön geformt waren. Zu der hoffnungslosen Rückständigkeit seiner Arbeitsmethode gesellte sich Furchtlosigkeit und – obwohl er hoffentlich auf die Stunde bezahlt wurde, wobei Anna Pfeiff zuzutrauen war, eine Pauschale vereinbart zu haben – das Gefühl der Zeitlosigkeit. Mir schien, wie er sich voll Geduld wieder dem Fußboden zuwandte, er hätte bis zum Ende der Welt hier herumgekratzt, mit regelmäßigen Pausen, in denen er aus der Flasche Exportbier trank, ein gekauftes Brötchen aß und seinen Gott lobte. In der starken Verwirrung meiner Gefühle überfiel mich eine Rührung, die zu gleichen Teilen aus Selbstmitleid wie der Empfindung von Trost gemischt war.
    Auf dem Küchentisch lag eine aufgeblätterte arabische Zeitung voll winziger Artikel mit großen Überschriften. In der Mitte der Seite sah man ein Bild von einem arabischen Gipfeltreffen oder Staatsbesuch – ich erkannte den markanten Kopf des Königs von Jordanien in strengem Zivil, eine dicke Ader zog sich über seine straff mit Haut bespannte Stirn, neben ihm stand mit rotem Fez der König von Marokko, fleischig, dicklippig, sonnenbebrillt, daneben ein saudischer Fürst mit illusionslosen Wüstlingszügen, umrahmt von blütenweißem Schleier.
    »Vous êtes marocain?« fragte ich den jungen Mann.
    »Non, algerien«, antwortete er mit stolzer und glücklicher Miene.
    »Je ne parle pas votre langue«, sagte ich entschuldigend. Ich zeigte auf die Zeitung, auf den Marokkaner. Ich hätte geglaubt, das sei sein König.
    »J’aime les rois«, sagte der junge Araber mit einer verträumten Miene.
    »Moi aussi«, sagte ich, obwohl ich mir darüber noch nicht ein einziges Mal den Kopf zerbrochen hatte. Ich ging ins Schlafzimmer, um meinen Koffer zu packen. Den jungen Araber habe ich nicht wiedergesehen. Als ich Wochen später aus Indien zurückkehrte, war der halbe Küchenboden noch mit der Kruste bedeckt, der junge Mann war verschwunden. Ich gestehe, daß seine Flucht mich erleichterte, obwohl ich so tat, als teilte ich Anna Pfeiffs Empörung.

 
     
    Zweites Buch
Der König

1.
Anbetung der heiligen Kuh
    Ich hatte nicht damit gerechnet, so schnell einer heiligen Kuh zu begegnen. Als habe sie es gewußt, erwartete sie mich gleich am Flughafen von Udaipur. Ich trat aus dem niedrigen Gebäude, über den fettigen, wie mit Butter eingeriebenen Marmor der Empfangshalle wandelnd, und da stand sie, ungeachtet meiner vielstündigen Verspätung, und vertrieb sich die Zeit des Wartens, indem sie still und gesammelt an einem Pappkarton kaute. Ihr Fell war von feinstem Hellgrau, gelegentlich schwarz überpudert, wo die Haut sich an Gelenken oder im Nacken faltig staute. Die Ohren waren groß, bewegten sich wie rosige Hände beim Fliegenverscheuchen, leichthin zuckend, und hatten an den Spitzen weiße Pinselhärchen. Wie alt war die Kuh? Die großen Augen hatten in ihrer Sanftheit etwas Kindliches. Sie standen enger beieinander als bei einer europäischen Kuh. Der Kopf war schlank und schmal, und die Augen saßen ein wenig schief. Die Kuh glotzte nicht – das vorgewölbte europäische Kuhauge, der bedeutungsvolle dramatische Juno-Blick gefällt mir auch, aber hier war, durch das edle Hellgrau vermutlich noch gesteigert, auch etwas von eselhafter Frömmigkeit und Geduld. Schön

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