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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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sichtbar bekleckert da. Wenn ich abreiste, entkam ich aber auch den Blicken, womöglich gar den Ratschlägen von Anna Pfeiff. Ich hatte das indische Projekt der dänischen Investoren eigentlich zum Vorwand für eine Reise mit Manon nehmen wollen. Sie sollte für ihren Verzicht auf den »Indisch-magischen Zirkus« eine Entschädigung erhalten, und »Stoffe und Steine« kauften sich womöglich noch leichter, wenn man von Organisationsarbeit unbelastet war.
    »Ich fliege mit dem nächstmöglichen Flugzeug nach Delhi«, sagte ich in Annas mütterlich strahlendes Gesicht.
    »Morgen schon?«
    »Morgen, übermorgen ist zu spät, heute.«
    Sie wandte sich zum Telephon. Mein Blick fiel auf ihre Filzwand mit den Postkarten. Mit einem Griff riß ich den nackten Meister herunter und zerfetzte ihn in kleine Stücke. Vielleicht versetzte ihm diese Behandlung seines Abbildes einen jähen Stich in der Nierengegend, der ihn mit hypochondrischen Besorgnissen erfüllte?
    Anna Pfeiff, die mir jetzt zur Flucht verhalf – tatsächlich gelang es ihr, noch für den selben Mittag einen Flug zu finden –, hätte mir auch geholfen, zu Hause zu bleiben. Sie war es, die, mißtrauisch genug, die Renovierung meiner unbehaglichen Wohnung ins Werk gesetzt hatte. Aber natürlich hätte sie auch die eigene Hinrichtung gewissenhaft vorbereitet. Und mein Entschluß, der Wohnung endlich zu Leibe zu rücken, endlich ein paar Möbel zu kaufen, endlich vor die kahlen Fenster Vorhänge zu hängen, war ihr schon unheimlich genug.
    Sie kannte mich und meine Reden. Ich gehöre zu dem Typus des mit Schönheit und Glanz befaßten Entwerfers, der für sich selbst jede Art von Dekoration unerträglich findet. Nach welchem Prinzip auch immer eingerichtete Wohnungen waren mir ein Graus. Hinter jedem Stil, der sich der Analyse nicht entzog, vermutete ich irgendein mieses Kalkül. Bei jedem Stoff, den ich sah, fiel mir das Jahr ein, in dem er entworfen worden war, die nichtige Mode, zu der er gehörte, die Farbpalette, die zur Zeit seiner Entstehung propagiert wurde. Wenn es um mich geht, sind mir neue und alte Möbel gleich verdächtig. Früher behauptete ich gern, am liebsten in Apfelsinenkisten leben zu wollen, aber seitdem habe ich so viele verlogene Interieurs à la Apfelsinenkiste gesehen, daß mir scheint, Apfelsinenkisten seien geradezu das allerschlimmste. Schlechter Geschmack ist schon unerfreulich genug, aber ich leide viel mehr unter gutem Geschmack, sogar unter meinem eigenen. Wie manche Modemacherinnen, die nur im schwarzen Pullover herumlaufen, oder wie Köche, die ihre Gourmet-Restaurants verlassen, um an der Imbißbude eine Bratwurst zu essen, habe ich die Haltung angenommen, daß, was ich herstelle, nur für andere da ist, nie für mich.
    Weil Anna Pfeiff das wußte, konnte sie sich ausrechnen, daß ich meine Wohnung nicht für mich allein herrichten lassen wollte. Ich stellte mir vor, die Wohnung in einen Zustand zu versetzen, der Manon gefiel, ohne sie festzulegen und einzuzwängen. Sie sollte einfach Lust haben, bei mir einzuziehen, um sich dann selbst alles so zurechtzumachen, wie sie es brauchen konnte. Ich wußte, daß es ein Riesenfehler gewesen wäre, nach Art junger Paare zu versuchen, mit Manon gemeinsam den Nestbau zu planen. Wie schlau ich mir im Vermeiden von Fehlern vorgekommen war! Konnte ich mir nicht vorstellen, daß womöglich überhaupt keine Fehler notwendig waren, um Manon zu verlieren?
    Als ich meine Wohnungstür aufschloß, um schnell ein paar Kleidungsstücke in einen Koffer zu werfen, hörte ich aus der Küche ein regelmäßiges Scharren und Kratzen. Ich fuhr zusammen, als fürchtete ich, jeden Augenblick Manon gegenüberzustehen. Dann erinnerte ich mich, daß Anna Pfeiff von einem Handwerker gesprochen hatte, der die Klebstoffkrusten eines Kunststoffbelages auf dem alten Kachelfußboden abkratzen sollte. Dieser Klebstoff war haltbarer als der zerbröselnde Belag. Chemikalien konnten ihm nichts anhaben. Ich fragte Anna Pfeiff nie, woher sie die Handwerker nahm. Der Mann, den sie an die Beseitigung dieser dunkelbraunen Klebstoffkruste gesetzt hatte, war offenbar unmittelbar aus einem nordafrikanischen Orangenhain hierher gekommen.
    Er kniete auf dem Boden, vom Staub des nur mit Mühe zum Splittern zu bringenden Klebstoffs bepudert, und schabte und stieß mit einem Spachtel gegen die steinharte Kruste. Als ich eintrat, sah er auf. Er war noch jung, sehr mager, mit fellartigem schwarzem Haar auf der Brust, das aus seinem

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