Das Beben
Passagiere daraus hervor. Das nächste Flugzeug kommt aus Wien. Die Flügeltüren öffnen sich für eine große, elegante Frau in engem Kostüm aus gewachster Seide, schwarz-gelbes Glencheck, ich sehe es noch heute deutlich vor mir, ihr Haar hochgesteckt – Manon steckt das Haar hoch, wenn sie die Frisur nach einer Liebesnacht nicht mehr wieder herstellen kann. In der Hand trug sie eine Zeitung, in der Zeitung steckte eine dunkelrote Rose. Ich ließ den Kaffee stehen und ging auf sie zu.
Eine Weile standen wir stocksteif da. Dann drehte ich mich um und lief in langen Sätzen davon, auf die Rolltreppe zu, die zur Untergrundbahn führte. Sie folgte mir. Weil sie auf ihren hohen Absätzen nicht rennen konnte, warf sie die Schuhe weg. Die Rolltreppe war dicht besetzt von einer japanischen Reisegruppe, das sicherte mir den Vorsprung. Kleine faltige Asiaten mit Pepita-Reisehütchen, die Geschlechter stark aneinander angeglichen, hinderten Manon, sich zu mir nach vorn zu drängen. Da stand die Bahn. Ihre Türen waren geöffnet. Ich rannte auf sie zu, Manon immer hinter mir her. Als ich das Trittbrett erreichte, schlossen sich die hydraulischen Türen. Manon stand draußen. Jetzt hatten wir noch ewige zwei Sekunden, um unsere Augen ineinanderzutauchen. Ihre Hände lagen auf den Glasscheiben. Es war, als wollten sie sich daran festsaugen. Der Zug fuhr an. Sie lief noch ein Stück mit, in ihrem Gesicht mischten sich wilder Eifer und Verzweiflung.
9.
»J’aime les rois!«
Ein einziger Gedanke beherrschte mich und machte mir den Schmerz erträglich, wie man sich den Arm nach einem Messerstich mit Knebeln abschnürt: Ich mußte fliehen, ich mußte augenblicklich unsichtbar und unerreichbar sein. Nach dem Auftritt in der Untergrundbahn mußte ich damit rechnen, daß Manon mich verfolgte und nicht lockerließ, bis sie meiner habhaft wurde, und dann war ich verloren. Sollte ich sie etwa schlagen? Danach war mir zumute, ich muß es bekennen, und zugleich wußte ich, daß sie dann endgültig über meine Vorsätze gesiegt hätte. Sie durfte keine Minute Zeit erhalten, etwas zu erklären, sich zu rechtfertigen oder zu entschuldigen. Blitzartig erhellt lag die Landschaft unserer Liebe vor mir da. Die Verbindung mit ihr würde niemals auf ein rechtes Gleis kommen, ich war dazu ausersehen, eine lächerliche Rolle zu spielen und immer verzweifelter zu werden. Ich sah, daß ich Manon nicht ein einziges Wort glauben durfte. Wenn ich sie nicht im Haus ihrer Eltern kennengelernt hätte, wäre ich davon überzeugt gewesen, daß sogar ihr Name erlogen sei. Vergeblich grübelte ich nach, warum sie mich belog. Was erhoffte sie sich? Welche Vorteile waren damit verbunden, mich in dem Glauben zu lassen, wir seien ein Liebespaar? In der Verbindung mit mir lag doch keinerlei Nutzen. Ich gab ihr recht, daß sie sich zu einem reichen und berühmten Mann hingezogen fühlte, daß sie glaubte, einen Anspruch auf einen solchen Mann zu haben. Jede schöne Frau hat diesen Anspruch und ist schlecht beraten, wenn sie ihn vergißt. Heiraten sollten ausschließlich nach finanziellen Gesichtspunkten geplant werden, alles andere mündet in eine Enttäuschung.
Ich steigerte mich in einen hysterischen Zynismus. Der eigentliche Schmerz pochte weniger vernehmlich, wenn ich mein Herz in einen Dornbusch warf und es von vielen Dornen aufspießen ließ. In dem Wunsch, unsichtbar zu werden, lag auch die Sehnsucht nach Selbstvernichtung. Warum konnte man nicht auf Kommando sterben? Aber abreisen war auch ein Tod und erlaubte womöglich, was der echte Tod verbietet: etwas vom Verhalten der trauernden Hinterbliebenen mitzubekommen.
Als ich Anna Pfeiff im Büro erklärte, für Frau Manon Gran sei ich hinfort nicht mehr zu sprechen, ich sei ohne Angabe einer Adresse verreist, erfüllte mich Rachsucht. Ich wußte, daß Manon verrückt wurde, wenn sie jemanden nicht erreichen konnte. Es gab nichts, was sie derart mit einem Zauberbann belegte, wie ein Mensch, den sie nicht an den Apparat bekam. Das hatte mit Liebe nichts zu tun, es war eine Besessenheit, die sich gegen sie selbst richtete, wenn ihr nicht sofort gehorcht werden konnte. Mit wem sie telephonierte, den hatte sie während des Gesprächs schon halb vergessen, aber wer sich ihr entzog, der fügte ihr körperliche Qualen zu.
Daß Anna Pfeiff mit schadenfrohem Lächeln auf diese Anweisung einging und ihren Grund augenblicklich verstand, trübte mein Racheglück freilich. Ich stand, sogar vor meiner Sekretärin,
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