Das Beben
war der nicht sehr straff gefüllte Zebu-Höcker und das schlabbernde, leere Doppelkinn, das dem Kopf wie ein Jabot oder ein Plastron anhing. Das Euter war jungfräulich klein mit zarten Zitzchen, der Körper knochig, aber nicht ausgemergelt. So stand sie, von niemandem beachtet, zwischen den parkenden, den an- und abfahrenden Autos, die um sie herumfuhren, ohne sie anzuhupen. Während ich auf den angekündigten Fahrer aus Sanchor wartete, von dunkelhäutigen Männern mit nachlässig um den Kopf gewundenen Tüchern und ausdruckslosen Mienen beobachtet, faßte die Kuh unversehens den Entschluß, sich zu bewegen.
Ein Ruck ging durch ihren großen Körper. Sie machte, ohne von irgendwem dazu genötigt zu sein, mit gesenktem Hörnerkopf einige staksende Schritte, hob den Kopf dann wieder und sah sich um, ob die Veränderung ihrer Lage etwas Neues in ihrer Umgebung zur Folge habe. Sie war allein dem eigenen Willen unterworfen, aber sie schien das nicht völlig begriffen zu haben. Kein Hirte trieb sie, keine Melkerin forderte von ihr, still zu stehen, niemand war durch sie behindert oder gestört oder versuchte, sie anderswo hinzuschieben. Die Welt, die die Kuh am Flughafen umgab, war geschäftig. Autos fuhren vor, Gepäck wurde ausgeladen, die lauernden Turbanträger schlenderten herbei und trugen Dienste an; die Kuh aber war für diese Leute unsichtbar, so mußte sie selbst es verstehen. Ich habe ihre Ohren und Augen und den ausdrucksvoll gerundeten Kuhkörper groß genannt und fühle mich etwas hilflos, daß nun kein anderes Attribut zur Stelle sei als immer nur »groß«, aber es muß einem klar sein, daß ein schöneres und angemesseneres Wort als »groß« für die Kuh nicht zu finden wäre. Das Unprätentiöse, Ruhige, Gesammelte, das Farblose, Allgemeine von »groß« war genau zutreffend für diese Kuh, die mit ihrem die Autos überragenden Leib und mit den Hörnern, mit denen sie eine Windschutzscheibe hätte einrennen können, ohne Eitelkeit und Selbstdarstellung ihre Größe eher ertrug, als sich ihrer zu freuen. Heu oder Gras oder die Büsche der niedergetrampelten staubigen kleinen Anlage am Flugplatz wären eine bessere Nahrung für sie gewesen als der Pappkarton, der laut seiner Aufschrift Tintenpatronen für Kopiergeräte enthalten hatte und jetzt mit Demut und Geduld und, während die lang bewimperten Augen bescheiden über ihn hinwegblickten, eingespeichelt, zerkaut, zermahlen und heruntergeschluckt wurde. Die Fetzen, die von ihm übrig blieben, baumelten aus dem weichen grau-rosa Maul heraus, als wolle die Kuh vorn am Kopf ein Pendant zum Kuhschwanz schaffen.
Auf der Fahrt über Land begegneten wir der Kuh stets aufs neue. Sie stand wie ein Denkmal am Straßenrand und achtete der Autos nicht, die an ihr vorbeisausten. Sie lag mitten auf der Straße, den Kopf von den herankommenden Autos abgewandt, als wisse sie schon, daß kein noch so eindringlich seelenvoller Blick einen Fahrer dazu verführen werde, anzuhalten und mit ihr zu sprechen. Man steuerte vielmehr höchst geschickt um die lagernde Kuh herum, die auch dies Manöver nicht zur Kenntnis nahm. Ich wußte schon, daß dies immer neue Kühe waren, aber ich stand noch so stark unter dem Eindruck der Flughafen-Kuh, die ich eine halbe Stunde lang betrachten durfte, daß ich gesonnen war, alle Kühe, die uns begegneten, für ein und dieselbe zu halten. Alle waren gleich fern von den Menschen, gleich sanft, gleich in sich gekehrt.
Ich erfuhr dann, daß diese Getrenntheit der Menschen- und der Kuhwelt nicht lückenlos sei. Die Menschen aßen nicht das Fleisch der Kühe, aber sie tranken ihre Milch, sie sammelten die Kuhfladen und trockneten sie an den Mauern der Häuser – diese Fladen rochen nicht schlecht, nichts fäkalisch Ekelhaftes war daran, eher staubig Pilziges wie von Bovisten – und sie machten aus Kuh-Urin Medizin und ein Farbpigment, dessen pulvriges Gelb das tiefste Gelb der Welt war, leuchtende Erde. Auch scheinbar wild umherlaufende und -stehende Kühe hatten oft einen Besitzer, der sie regelmäßig molk. Aber daß es sich bei diesen Kühen, die ich sah, oder eben dieser einen an allen Orten treu auf mich wartenden Kuh nicht um die Frucht von etwas handelte, was in Europa Viehzucht genannt wird, war auch klar. Die Kuh duldete, daß man Nutzen aus ihr zog. Sie sah sich vom Menschen unbegreiflich geschieden, obwohl mitten auf seinen Straßen lebend, und sie bemerkte, daß es ihn gelegentlich dazu trieb, an ihrem Euter zu zupfen, ohne
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