Das Beben
schließlich bedeutet, hätte er vor allem doch wohl die Anrede »Majestät« beanspruchen dürfen, europäische Könige jedenfalls waren Majestäten, die Hoheit war den Prinzen vorbehalten.
»Nicht in Indien«, belehrte mich Doktor Sharma, der hier wie der Hausherr waltete und dem stummen Turbangreis befohlen hatte, mir Tee zu bringen. »Diese Titel stammen von den Engländern, der englische König wollte keine weiteren Majestäten neben sich dulden. Sanchor war kein großer Staat, aber selbst der Nizam von Haiderabad, dessen Land so groß wie Frankreich war, durfte neben König Georg nur Hoheit sein« – und dabei war es geblieben, auch nach dem hastigen Abzug der Engländer, und in der indischen Republik war die Hoheit schon sperrig genug, republikanische Würdenträger, die höflich sein wollten, billigten den Königen allenfalls eine »Exzellenz« zu.
Der Greis brachte mit einer Langsamkeit, als folge jeder Schritt von ihm einem eigenen, der Unbeweglichkeit zäh abgerungenen Entschluß, auf dem Tablett mit dem goldgeränderten Teeglas auch einen kleinen, aus einem karierten Blatt herausgeschnittenen Zettel. Sharma las ihn und reichte ihn mir dann. Der Zettel war mir bestimmt, eine Nachricht des Königs, nicht unterschrieben.
»Ihr Empfang durch His Highness ist für achtzehn Uhr vorgesehen«, stand in Schreibmaschinenbuchstaben, die hüpften, auf dem nüchternen Papier. Nüchternheit war der Geist, der am Hof von Sanchor herrschte.
»Wie gefällt Ihnen der Palast?« fragte Doktor Sharma, »sind Sie zum erstenmal hier?«
Ich sah noch ausschließlich durch die Brille des Hotelplaners und war trotz meiner Erschöpfung durch die lange Fahrt vom ersten Anblick an höchst angeregt. Niemals hatte ich, was die äußeren Gegebenheiten anging, bei meiner Planung derart leichtes Spiel gehabt. Hier gab es keinerlei Baumbestand, Gemäuer, bewahrenswerte Architektur, Geländeschwierigkeiten. Der Neue Palast, eine strenge, aber vornehme synkretistische Erfindung, stand frei, und rund um ihn herum konnte die Phantasie sich austoben. Große Hotelflügel zu seiner Rechten und Linken würden sogar noch zur Pracht der Anlage beitragen. Ein Wassergarten müßte sich durch die weiten Ebenen ziehen. Kanäle mit Brücken, Blumeninseln, Springbrunnen und Wasserfällen würden eine Oase hervorzaubern. Große Palmen müßten den alten Neuen Palast umgeben, der vor allem das Restaurant aufzunehmen hätte. Die Leere, die ihn jetzt umgab, war wie ein Reißbrett für meine Pläne.
Ob ich mir die Hände zu waschen wünsche, fragte Doktor Sharma. Ich folgte ihm in den hohen Eckpavillon, der einen kleinen Saal enthielt, mein Schlafzimmer, wie sich jetzt herausstellte, denn dort standen mein Koffer und meine Reisetasche neben einem schweren Himmelbett mit Moskitonetz. Im großen Badezimmer nebenan, einem weiteren Saal, fand ich prachtvolle Keramikarmaturen, ein Riesenwaschbecken mit Rädern aus Nickel über den Hähnen.
Wasser floß allerdings keines. Der Greis mit dem schwankenden Turban und den schmutzigen weißen Lumpen am Leib stand unversehens wieder hustend in der Tür, mit einem Messingeimer, der halb mit trübem, bräunlichem Wasser gefüllt war. Doktor Sharma rief aus dem Schlafzimmer: »Wasser haben wir im Winter wenig. Sie sollten dieses Wasser auch keinesfalls trinken. Es bekommt nicht einmal uns. Die Leute glauben, sie hätten sich an dieses Wasser gewöhnt, aber ich weiß aus meiner Praxis das Gegenteil.« In diesem Zusammenhang müsse er das Loblied von Hiseinis singen. Ohne eine kräftige Spende von seiner Hand habe man in Sanchor gerade erst vor einer regelrechten Ruhr-Epidemie gestanden.
»Die Leute, die am ehesten von solchen Krankheiten befallen werden, können sowieso keine Medikamente bezahlen.« Hiseinis sei ein Menschenfreund.
Als ich zu Sharma zurückkehrte, nur mäßig erfrischt, denn ich hatte mich noch nicht dazu überwinden können, das Wasser aus dem Eimer an mein Gesicht zu lassen, fand ich ihn in einem tiefen, mit mürbem Leder bezogenen Clubsessel. Er blickte auf zu dem etwa zwei Meter hohen Gemälde über dem Kamin, das lebensgroße Porträt eines indischen Fürsten mit vielen Halsketten, drei Dolchen in der Schärpe, einem kleinen, schiefsitzenden rosa Turban und einem Kostüm, das in mindestens acht verschiedenen Farben schimmerte, in dickem Gipsrahmen. Das Schimmern mußte man sich freilich vorstellen. In der peinture des russischen Meisters, der das Bild mit einer großen Signatur versehen hatte,
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