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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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wurde jede Farbe schmutzig-grau.
    »Das ist der Großvater von Hiseinis, Maharao Saroop Singh, der Erbauer dieses Palastes«, sagte Doktor Sharma, »auch der Erbauer des Krankenhauses, dem ich die Ehre habe vorzustehen. Auch der Erbauer eines Staudamms oberhalb von Sanchor, aber der ist jetzt schon beinahe ausgetrocknet, das Wasser in dem Eimer kommt aus diesem Stausee, Sie sehen, die Qualität läßt nach.« Der russische Maler sei hier mit indischer Frau durchgereist, dann zurückgekehrt und habe beinahe fünf Jahre in Sanchor gelebt. Hiseinis, der Großvater, habe ihn mit vielen Aufträgen versehen. Es sei leider nicht auszuschließen, daß dieser Mann seine Frau umgebracht habe. Damals seien solche Vorkommnisse bei Ausländern nur nachlässig untersucht worden; es fehlten noch vier Bilder für die Galerie des Neuen Palastes, da habe der weiland König kurzerhand das Ende der Ermittlungen verfügt. Diese Entscheidung sei eine Entscheidung für die Schönheit und Freiheit der Kunst gewesen, nicht wahr? Die Galerie sei damals dennoch nicht vollendet worden. Der Russe war undankbar und floh mit dem Vorschuß, damals noch gute britische Gold-Guinees.
    Der Greis trat wieder ein. Seine rotgeränderten Augen blickten unruhig. Er streckte die Hand weit aus; aus seinen krummen Fingern mit den langen gelben Fingernägeln nahm ich einen weiteren karierten Zettel entgegen.
    »Seine Hoheit bittet Sie, sich noch zu gedulden. Der Empfang wird nach Ihrem Besuch im Alten Fort stattfinden.« Doktor Sharma las den Zettel mit gerunzelter Stirn. Das Alte Fort könne er mir nicht zeigen, dazu seien andere berufen. Aus dem Nebenzimmer drang ein nachdrückliches Schnarren. Dann rief es Kuckuck.
    »Aber ja«, rief Sharma freudig, »eine echte Schwarzwälder Kuckucksuhr. Mitgebracht von der Europareise, aus Anlaß der Krönung Georgs VI.« Im Nachbarsalon, dessen Tür ich öffnete, hing die Uhr mit ihren Tannenzapfengewichten über einem Photo, das einen Knaben mit langen Augenwimpern und feuchtem Glanz auf Augen und Lippen zeigte, ein weit auf die Schultern ausgelegter Schillerkragen umrahmte den hübschen Buben, wie eine gestanzte Papiermanschette einen glasierten Kuchen umgibt.
    »Das ist Hiseinis als Kind«, dem Stil der Photographie nach mußte sie aus den vierziger oder auch dreißiger Jahren stammen. Die schweren Sessel, deren Seitenlehnen mich an alte stoffbespannte Radiolautsprecher erinnerten, waren auf Rücken- und Seitenlehne mit weißen Tüchern belegt, die dem Zimmer etwas Eisenbahnartiges gaben.
    »Ich bin Künstler«, sagte Doktor Sharma, indem er seiner Stimme unversehens noch samtenere Weichheit, etwas geradezu Melodiöses verlieh, als bereite er sich vor, einen verführerischen Sprechgesang vorzutragen. Über den schönsten Raum dieses Palastes habe er einen Gesang geschrieben, der tatsächlich gedruckt worden und auch vertont worden sei, dieser Gesang eigne sich nach seiner Überzeugung vorzüglich dazu, in alle europäischen Sprachen übersetzt zu werden, wobei er an der Übersetzung ins Englische selber noch feile.
    »Golden room, you chamber of my soul«, beginne das Gedicht, »dein Geschmeide, Reibung an deinem Seidenhals, verläßt mich nimmer – deine Brüste pulsierend unter mir als Flügel, Fetzen erschöpfter Geruchswolken, Ruinenstätte des Überdrusses ...« Während er eindringlich rezitierte, schritt er mir tänzelnd voran und riß mit Zauberkünstler-Gestus die nächste Flügeltür auf.
    »The golden room«, lag im Dämmer, denn die Fenster hoch oben unter der Decke mit ihren Ventilatoren und den gerupften Kronleuchtern waren verhängt. Etwa dreißig steile Sessel, deren Armlehnen aus holzgeschnitzten Löwen bestanden, waren ineinandergeschoben, auf ihrem blauen Samt lag schwarzer Staub, als habe man in diesem Saal ein Kohlenfeuer entfacht. Aber die Wände glänzten tatsächlich golden, in goldenem Rankenwerk, dessen Blütenkelche und geplatzte Granatäpfel und Knospen und Vögel eine europäische Version orientalischen Arabeskenwerkes darstellten; ich nannte den Stil »russisch«, aber vielleicht nur unter dem Einfluß des gattenmörderischen Malersmannes aus meinem Schlafzimmer.
    »In diesem Saal hat der Vater von Hiseinis seine Durbars abgehalten«, sagte Doktor Sharma. Viele solche Reichstage mochten es nicht gewesen sein, die Blattgoldapplikationen wirkten frisch bis auf jene Stelle unter dem hochgelegenen Fenster, wo die Feuchtigkeit vergangener Gewitterregen eingedrungen war. Wenn nach langer

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