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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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königlicher Herr. Wer europäische Köche beim Gemüseputzen und Kräuterhacken beobachtet hat, wie sie sich, Klingen aus vielfach gehärtetem Stahl in den Händen, in lebendige Maschinen verwandeln, um ratternd zu hacken und zu schnetzeln, mußte die Ruhe dieser Frauen bewundern. Sie boten vor allem erst einmal ein Bild. Ihre kleinen Messer waren schwarz angelaufen. Die Linien ihrer Hände waren mit Erde gefüllt. Bereiteten sie die Speisen für morgen oder übermorgen vor? Wenn die Sonne verschwunden war, würde ihnen eine Kerosinlampe leuchten, die schon angezündet war, obwohl ihr Lichtpünktchen jetzt noch im immer dichter werdenden Rosa unterging.
    Der König begehrte zu wissen, was ich von den architektonischen Wundern seines Reiches gesehen hätte. Den großen Familientempel? Nein. Die Festung von Achaleshwar? Nein. Doch aber wenigstens den Tempel von Achalghar, der seinem Herzen am nächsten stehe? Nein, den auch nicht.
    Ich gab zu bedenken, daß ich mich noch keine vierundzwanzig Stunden in Sanchor aufhalte. Des Königs Blick, der forschend und etwas fragend auf Purhoti geruht hatte, erhellte sich. Ach, heute erst sei ich eingetroffen? Diese Frage kam mit solch nachdrücklichem Staunen und solcher Anteilnahme daher, daß ich einen kleinen Verdacht, den ich gehegt hatte, beiseite schob: Man erinnert sich der karierten Zettel mit ihren aufschiebenden Anweisungen, die mir das Gefühl gegeben hatten, die ganze Zeit schon unter der prüfenden Beobachtung Seiner Hoheit zu stehen. Nein, so sollte es entschieden nicht gewesen sein. Am Hof von Sanchor gab es viele Affairen, viele Gäste, viele Chargen, der König befaßte sich mit den Aufgaben des Tages erst, wenn sie anfielen.
    Den goldenen Saal aber hätte ich doch wohl besichtigt? Das konnte ich bestätigen. Herr Doktor Sharma habe mir den goldenen Saal gezeigt.
    Purhotis Miene erstarrte zur vollständigen Ausdruckslosigkeit. Ich hatte gleich das Gefühl gehabt, Sharma werde und könne von diesem Mann nicht geschätzt werden. Später fand Purhoti selbst die Formel, die besser als jede Anklage seine Stellung zu dem Arzt bezeichnete: »Doktor Sharma ist nicht Bestandteil des Hofes und Staates von Sanchor und auch kein Untertan. Er stammt aus Bombay und zählt sich zu den Bekanntschaften Seiner Hoheit.«
    Sah der König sich veranlaßt, Sharmas Anwesenheit und seine stellvertretende Gastgeberrolle in knappen Worten zu erklären? So meinte ich die scheinbar nachlässigen und doch irgendwie eilfertigen Bemerkungen des Königs verstehen zu sollen.
    »Der goldene Saal gehört zum Bedeutendsten, was in einem Fürstensitz Radjastans jemals geschaffen wurde«, sagte der König und blieb trotz des Superlativs bei einer geradezu wegwerfenden Nachlässigkeit. »Er enthält nicht nur die Porträts von sechs meiner hohen Vorgänger, sondern auch eines von Colonel James Todd, des wahrscheinlich bedeutendsten Historikers der Neuzeit, auf jeden Fall Englands – für uns natürlich nicht, Indien hat erheblich bedeutendere Historiker schon vor Tausenden von Jahren gekannt.« Das bestätigte ich gern, obwohl es mir schwergefallen wäre, solche bedeutenden Historiker aus Indiens früher Geschichte zu benennen, aber der König wollte es dabei nicht bewenden lassen. Mir sei das Werk des Colonel James Todd selbstverständlich bekannt? Wenn nicht, werde er es für mich aus der königlichen Bibliothek heraussuchen lassen, zwei Bände nach seiner Erinnerung. Sie stünden doch vermutlich im Alten Fort? Auf diese Frage rührte Purhoti sich nicht, aber ich richtete mich im Bambussessel auf: Es gab eine Bibliothek im Alten Fort? Die hätte ich doch gar zu gern gesehen.
    »Sie waren im Alten Fort?« Hielt der König in würdiger Strenge ein Verhör? Ich konnte nicht darauf rechnen, daß mein flüchtiger Anblick aus der Ferne, während er so viele Leute empfing, die ihm vertraut und wichtig waren, sich ihm ebenso einprägte, wie der seine sich mir. Ob ich im Alten Fort denn auch den Frauenflügel gesehen hätte? Diese Frage liege ihm besonders am Herzen. An meinem Urteil über den Frauenflügel sei ihm gelegen. Er wartete aber, zum Glück, wie ich mir sagte, meine Antwort nicht ab, sondern wollte nun zunächst seine eigene Auffassung darlegen. Dieser Flügel sei in das sehr alte – aber gemessen am Königtum Sanchors letztlich sehr junge – Alte Fort erst von seinem Großvater hineingesetzt worden. Wie das gelungen sei, bewundere er heute noch. Aber der Luxus und die Schönheit des

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