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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Frauenflügels seien auch wirklich besuchenswert – wenn man sich die Suite so vor Augen stelle, wie sie einst geplant gewesen sei. So habe die große Halle, die wir gewiß betrachtet hätten, eigentlich mit denselben Goldornamenten über und über bedeckt werden sollen, die ich mit vollem Recht im goldenen Zimmer so außergewöhnlich gefunden hätte. Man müsse sich diese Halle ganz und gar vergoldet vorstellen, um den ursprünglichen Plan zu verstehen, dazu vielleicht, möglicherweise, andere Möbel – silberne Throne in großer Zahl zum Beispiel –, aber vielleicht genüge es auch, das vorhandene Mobiliar auffrischen und neu beziehen zu lassen – und dann habe man, nach seiner, des Königs, bescheidener Meinung, eines der ungewöhnlichsten Hotels der Welt. Ein Hotel, das würdig sei, alle regierenden Monarchen der Erde aufzunehmen – bitte nur niveauvolles Publikum, nicht das zahlungskräftige Gesindel, das als raffgierige Plutokratie die sogenannte indische Demokratie in Händen halte. »Es wäre der Mühe wert, sich philosophisch und staatstheoretisch mit der Demokratie auseinanderzusetzen, wenn man mir denn einmal eine wirkliche Demokratie zeigen wollte«, unterbrach er die Rede vom Hotel mit einem Gedanken, der ihm zu teuer war, als daß er ihn jetzt einfach hätte unterdrücken können. »Wo sind sie denn, die Demokratien? Im Staat von Sanchor wußte der Herrscher genauer, was sein Volk wünschte und brauchte, als jetzt die Regierung der indischen Republik.«
    Das bestätigte Purhoti mit gemessenem Nicken und ergänzte den Gedanken seines Herrn. Es sei bei der Betrachtung der indischen Geschichte vielfach gegen die »Zersplitterung«, die vielen kleinen Staaten polemisiert worden, das sei schon geradezu ein Gemeinplatz. Zum ersten seien diese kleinen Staaten so klein aber gar nicht gewesen, zum zweiten könne man einen Staat auch gar nicht nach seiner Größe, der bloßen Quantität, beurteilen. Ein Staat sei im glücklichen Fall – im Fall Sanchors – ein lebendes Wesen, ein Organismus, der sich selbst die ihm angemessenen Proportionen suche. Man werfe den Kühen auch nicht vor, daß sie keine Elephantengröße erreichten. Elephantengroße Kühe seien ein Alptraum, kuhgroße Kühe ein Wunder an Richtigkeit und Angemessenheit.
    Indem ich Purhoti zustimmte, verfiel ich zum erstenmal dem Fehler, Kategorien und Fakten der europäischen Geschichte, die seine Gedanken bestätigten, ins Spiel zu bringen.
    »Genf«, rief ich, »hatte, als es die Zukunft der westlichen Welt prägte, zwölftausend Einwohner.« Unwiderleglich wollte ich den König und Purhoti bestätigen, aber ich traf auf verständnis- und interesselose Mienen. Was war Genf? Wen prägte Genf? Und was sollte diese Zahl? Hätte Manon mir gegenübergesessen, wäre ich gewiß der Versuchung erlegen, diesen Gedanken nun ausführlich zu erklären, aber der König kehrte entschlossen zu seinem Projekt zurück.
    Nicht in dem leeren Park des Neuen Palastes, der sich zum Bauplatz förmlich anbot, sondern oben in der mittelalterlichen Festung und auch noch in deren unwirtlichstem Teil gedachte der König, das zahlungskräftige Publikum zu empfangen.
    »Der Gedanke ist zwingend«, fügte er hinzu, »ich möchte kein Hotel dort haben, wo ich den Raum selber brauche, sondern dort, wo ich ihn nicht brauche. Den Frauenflügel brauche ich nicht, schon meine Mutter hat dort nicht mehr gewohnt« – es verhielt sich mit diesem Flügel wie mit vielen edwardianischen Palästen auch in Europa, die nicht mehr in den ihnen zugedachten Gebrauch gelangt waren – »und es wird wohl auch in Zukunft niemand von der Familie dort wohnen.«
    »Er hat auch keine Fenster«, warf ich ein.
    »Das ginge gar nicht. Fenster soll ein Frauenflügel auch nicht haben, und er könnte auch keine haben, weil er derart zwischen die Festungsmauern gesetzt ist, daß er keine eigenen Außenmauern hat – ein geniales Stück Architektur.« Darin waren sich Herr und Diener einig.
    Für mich wäre diese Eröffnung vernünftigerweise das Ende meines Aufenthaltes gewesen, noch ehe er richtig begonnen hatte. Das Alte Fort war von großer Schönheit, aber von Hotelarchitektur seinem Wesen nach zutiefst geschieden. Die Bienenwaben konnten mit keiner Gewaltmaßnahme der Welt zu Hotelzimmern geweitet werden, und der wirkliche Schandfleck der Festung, das zwischen Berg und Festungsmauer geklemmte Frauenhaus, hätte man, um die Gesamtanlage wieder herzustellen, einfach abreißen müssen. Was Seine Hoheit

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