Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
sich zur Verschönerung des Frauenhauses ausgedacht hatte, würde in meine Pläne niemals eingehen können.
    Aber wenn man die Arbeit richtig anfängt, tun sich Lösungen auf, die man nicht vermutet hat. Nein, abreisen wollte ich auf keinen Fall. Und was wäre das für eine Flucht gewesen, davonzulaufen, um sofort zurückzukehren?
    Es war jetzt dunkel, tiefviolette Nacht. Außerhalb des Palastes war kein einziges Licht zu sehen. Die Terrasse wurde mit Glühbirnen in blütenartigen Preßglasschirmchen, die vor allem tiefe Schatten hervorbrachten, weniger als spärlich erhellt. Unsere Milchgläser waren seit längerem geleert, und von den Nüssen mochte ich nicht mehr essen. Inzwischen hatte das Telephon mehrmals geläutet, und Seine Hoheit war zu langen Gesprächen ins Haus gegangen, manchmal von Purhoti begleitet. In meinem Rücken gab es ein leises Kommen und Gehen, einmal klirrte es wie von Besteck und klapperte wie Teller, dann kehrte das Schweigen zurück. Fledermäuse sausten durch den Lampenschein. Mit jedem Telephonläuten wurde das Abendessen ein wenig weiter von mir weggerückt. Aus dem Innern des Hauses ließ sich der Kuckuck hören, nicht mahnend, sondern höhnend, wie mir inzwischen vorkam. Ein Mann mit auf den ersten Blick elegant erscheinender Silhouette trat zu uns, in einen engen dunkelblauen Anzug gekleidet, zweireihig und recht hoch geschlossen, den Hemdkragen hatte der Mann vielleicht nach Vorbild des Königs schillerkragenartig ausgelegt. Welche Vorstellungen mochten hier wohl von Schiller herrschen? Oder besser, welche Akzidentia eines monumentalen Lebenswerkes sind schließlich dazu ausersehen, den Käfig der eigenen Kultur zu verlassen und Einlaß in andere Kulturen zu finden? Denn daß der Schillerkragen seinen Weg in die hinterste indische Provinz gefunden hatte, dafür waren »Wallenstein« und »Don Carlos« eben doch ursächlich gewesen, wenn sie dann die weite Reise nach Sanchor auch nicht mitmachen durften. Der Mann wirkte wie ein Intellektueller. Daß seine Jacke von nahem sehr abgetragen und fleckig war, bestätigte diesen Eindruck. Ich bin heute davon überzeugt, daß der Anzug mit diesen schrägen Jackentaschen und den englischen Stulpen an den Ärmeln aus der Garderobe von Hiseinis stammte. Dies war der Koch, so stellte ihn der König vor, der Erbe einer Dynastie von Köchen, von königlichen Köchen, wohlverstanden, wie der König der Erbe einer Dynastie von Königen war. Das sei ein wirklicher Koch, erklärte der König, und ich empfand seinen Stolz als sehr angemessen und statthaft, denn die Könige haben zu allen Zeiten Wert auf den Rang ihrer Küche gelegt, ganz unabhängig, ob sie selber gern gut aßen. Ob wir nun Proben der Kunst des immer noch jugendlichen Dandys hier zu kosten bekommen würden, stand daher für mich noch in den Sternen, die sich in einer nie gesehenen Pracht über den ganzen Himmel ausbreiteten, wie mondweiße Scheinwerfer geradezu stechend und manche von ihnen im Licht flackernd, als würden sie von einem stotternden Generator betrieben, der seine Leistung hin und wieder verlangsamte, derselbe Generator womöglich, der auch die Glühbirnen des Neuen Palastes zu düsterem Glimmen brachte.
    Und dann war die Stunde gekommen, in der der König an seine Tafel bat. Die beiden Flöße, die durch die raumlose und zeitlose Ewigkeit schwammen und auf deren einem sich der gedeckte Tisch mit Speisen und auf deren anderem wir uns mit unseren leeren Milchgläsern befanden, waren plötzlich aneinandergetrieben, so daß man von einem auf das andere steigen konnte.
    Der Speisesaal lag der goldenen Kammer gegenüber und war ebenso groß und hoch wie sie. Die Ketten der Kronleuchter verloren sich oben im Dunklen. Wenige Glühbirnen beschienen eine lange Tafel, an der vierzig Stühle standen, jeder mit einem Wappen und einer Krone geziert, die aussahen wie aus verbrannten Lebkuchen geformt. Drei Gedecke lagen auf, englisches Steingut mit großen gelben und violetten Blumen bedruckt. Gabel und Löffel für die Süßspeise waren über dem Teller gekreuzt wie Meißner Schwerter und gaben der Tafel etwas Militärisches. In vielen leicht zerbeulten hotelsilbernen Schüsseln standen Ragouts und Gemüse vor uns, Safrangelbes und Chilirotes und Lackschwarzes darunter, von gehackten Kräutern frisch hellgrün bestäubt.
    Der Kuckuck rief. Es war zwei Stunden nach Mitternacht. Der Koch selbst brachte sein Hauptwerk: eine marinierte Lammkeule, die auf leichtestem Feuer mürb und

Weitere Kostenlose Bücher