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Das Beben

Titel: Das Beben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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den Eigennamen Pantaleon Theós an. Über Achilleus und Straton wissen wir wenig, außer daß sie regiert und in einen Krieg mit den Parthern verwickelt waren. Die elegante Schaukelpolitik des Eucratides bekam keiner seiner Nachfahren mehr hin. Bei den Königen Platon und Eucratides II. findet man auf den Münzen Inschriften mit bemerkenswerten Differenzierungen: Basileús und Basileu ō n. König war Platon, Eucratides II. aber war »Königseiender«, Mister Jenkins war davon überzeugt, daß die Partizipialform hier den wirklich regierenden König bezeichnen sollte. Diese Unterscheidung ist bis heute hilfreich: Seine Hoheit ist Basileús, aber nicht Basileuōn.«
    Aber was bedeutete dieser Unterschied, wenn der König und der Königseiende nicht mehr identisch waren? Was war der vom Königsein gelöste König, der doch ganz offenbar kein Nicht-König sein sollte nach den Schöpfern dieser Nomenklatur, sondern nur ein nichtseiender König? Ich sah den Basileús, dem das Basileúein verwehrt war, wie mit einem Skalpell aus seinen feudalen Beziehungen sorgsam herausgeschnitten, das erdenschwere Gemeinwesen, das einmal sein Reich gewesen war, blieb auf der Erdkruste zurück, mit einem Loch, wo vorher der König gewesen war, und der König schwebte, von keinem Band mehr gehalten, aus seinem Reich heraus und wurde zu einem Stern. Von einem Stern zum nächsten ist es weit.
    »Mit Sotér Megas brach das Reich um zehn vor Christus zusammen. Eine Weile regierte seine Schwester Calliope für ihn, sie soll klug gewesen sein und einen Buckel gehabt haben. Es scheint, als habe Sotér Megas sich seinen Namen selbst gegeben, in Wahrheit hieß er wohl Hermaios. Eine lange Herrschaft, aber keine Regierung mehr. Von Bucephala ist buchstäblich kein Stein auf dem andern geblieben. Aber das ist vielen Residenzen des Hauses Seiner Hoheit so ergangen, in der Wüste Thar sind drei unserer Hauptstädte im Sand vergraben. Mister Jenkins sagte, der Name Sotér Megas habe in seinen Ohren einen demokratischen Klang, und ich fürchte auch, daß dieser Titel demagogische Absichten befördern sollte. Man darf nicht vergessen, es war eine griechische Dynastie, für jede Art von politisiertem Unsinn gut. Das Rad der Geschichte mußte sich drehen, damit aus den vom Zufall Gekrönten wahre Könige wurden. Immerhin haben sie uns unseren Titel beschert.«
    Wenn Purhoti länger vom König und seinem Herrn sprach, verfiel er stets ins »Wir«.
    »Alle unsere griechischen Vorfahren nennen sich Basileús Basileon Megalos – großer König der Könige – Maharadja. Wenn sie sich von buddhistischen Mönchen beeinflussen ließen, gab es auch ›Könige der Barmherzigkeit‹, aber die haben wir klugerweise wieder fallenlassen. Ein König soll gerecht sein, und in sehr seltenen Fällen barmherzig, auf jeden Fall darf mit seiner Barmherzigkeit niemand spekulieren. Schon an diesem Detail wird deutlich, daß der Buddhismus bei uns untergehen mußte. Es fehlte ihm an Realismus, wie es nicht anders sein kann bei einer Lehre, die die alten Schriften verwirft.«
    »Zehn vor Christus stirbt Maharadja Sotér Megas, sein Reich wird erobert – aber wie gelangen seine Nachkommen ins neunte Jahrhundert an den Agnikund von Gau Mukh? Das sind achthundert Jahre ...« Ich sprach, als seien achthundert Jahre eine Felsenschlucht und als schwindele mir bei der bloßen Vorstellung, sie zu überspringen. Purhoti blieb gelassen. Die Erbfolge zwischen Sotér Megas und dem ersten Chauhan im Agnikund von Gau Mukh achthundert Jahre später sei ohne Zweifel lückenlos, freilich nicht dokumentiert.
    »Sie läuft über die weibliche Linie«, sagte Purhoti, »und die weibliche Linie wird meistens nicht aufgezeichnet.«

4.
Vom Neuen Palast zum Monsun-Palast
    Rund um den Neuen Palast waren die Pfauen, wie billig, die auffälligsten Vögel. Auf dem flachen Wüstenland, in das der Palast mit seinem hohen Sockel hineingesetzt war, liefen sie zwischen den dürren Stecken der in den steinigen Boden gepflanzten Bäume umher, aus der Ferne großen grauen Hühnern gleichend, die zwischen Steinchen und Sand immer noch etwas zu picken fanden. Gelegentlich fuhr in einen solchen Vogelkörper der Entschluß, sich vom Boden zu lösen, ohne daß dazu ein Anlaß sichtbar gewesen wäre. Die Vogelbrust blies sich auf, der Hals reckte sich, als wolle der Pfau in der ihm nachgesagten Eitelkeit über alles andere Getier triumphieren, die kurzen Flügel flatterten schnarrend wie ein Propeller, der sich noch

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