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Das befreite Wort

Das befreite Wort

Titel: Das befreite Wort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Sprong
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heißt: Gefragt ist nicht Authentizität, sondern Rollen-Authentizität 93
› Hinweis
 – auch bei jenen, die öffentlich reden müssen, sollen oder wollen. Die Menschen wollen (zu Recht) die Bundeskanzlerin, den Pastor, den Unternehmenschef oder den Fernsehintendanten erleben, nicht die private Person, die im Moment diese Rolle darstellt. Es geht um Rollenerwartungen, nicht um ein neugieriges Gespräch zwischen Nachbarn am Gartenzaun. Und die Skripte der Rollen sind klar: Die Bundeskanzlerin muss Vertrauen erwecken, Führungsstärke beweisen und über politische Richtlinienkompetenz verfügen. Der Unternehmenschef muss ebenfalls ein hohes Maß an Bereitwilligkeit mitbringen, Verantwortung zu tragen, aber auch Kraft zur Führung und die Kompetenz, sich im Wettbewerb zu behaupten. Wie sie oder er diese Rollen jeweils ausfüllt und gestaltet, das macht den persönlichen Anteil aus: Angela Merkel ist nicht Konrad Adenauer, BASF-Chef Jürgen Hambrecht ist nicht Bill Gates.
    Hinzu kommt noch etwas anderes: Zur Ausfüllung und Gestaltung einer Rolle gehört ganz wesentlich der »Rollentext« – er ist es, der den moralischen Überzeugungen, den Kompetenzen und Zielen der Person eine Stimme verleiht. Er muss daher so beschaffen sein, dass er die Gefühle, Werte und Haltungen des Redners auch vermitteln kann. Der Text muss, mit anderen Worten, selbst glaubwürdig und authentisch sein. Wie er es wird, dafür gibt es kein wohlfeiles, für alle Menschen und für alle Gelegenheiten gültiges Rezept. Der Inhalt der Rede kann schlicht, aber auch komplex sein, der Stil schmuckreich oder nüchtern – für den Erfolg einer Rede ist dies nicht ausschlaggebend. Wichtig ist vielmehr, dass die Grundhaltungen der Redner und ihre Botschaft den ihnen gemäßen sprachlichen Ausdruck finden und dadurch erkennbar werden. Die »Rollentexte«, die Inhalte der Reden, sind für Merkel und für Adenauer, für Gates und Hambrecht und all die anderen verschieden. Reden sind nicht austauschbar, sie sind individuell wie die Personen, die sie vortragen. Genauso verhält es sich mit der sprachlichen Gestaltung einer Rede: Auch hier kommt es auf den individuellen, dem Redner, der Sache und den Zielen angemessenen Ton an. Wer als Vorstandschef nur die aktuellen Bilanzzahlen vorträgt, als Parteipolitiker vorgestanzte Verlautbarungen von sich gibt oder als Bundespräsident wohlabgewogene Formeln politischer Korrektheit aneinanderreiht, wird blass bleiben, seine Aussagen werden als austauschbar erlebt. Glaubwürdigkeit wird so nicht hergestellt. Erfolgreiche, »gestandene« Führungspersönlichkeiten dagegen haben immer auch ihre unverwechselbare Ausdrucksweise gefunden, mochte sie elegant oder ruppig sein. Wer sich in seinen Überzeugungen sicher ist, so die alte Erfahrung, der wird im Vertrauen auf die Kraft der Sprache auch die passenden ausdrucksstarken Worte finden – und den »Rollentext« so aufladen, dass dieser seine Wirkung auf die Zuhörer nicht verfehlen wird.
    Schon den antiken Rhetorik-Theoretikern waren diese beiden Quellen für glaubwürdige Reden – die innere Haltung zur Sache einerseits, Inhalt und Gestaltung des Redetextes andererseits – wichtig. So stellte beispielsweise Cicero fest – und nahm damit den
Ausspruch des Augustinus über den Funken, den man selbst im Herzen tragen müsse, vorweg: »Es ist unmöglich, dass der Hörer Schmerz, Hass, Neid, Furcht empfindet, dass er zu Tränen und Mitleid gestimmt wird, wenn er nicht den Eindruck [sic!] hat, dass alle die Seelenbewegungen […] im Redner selbst tief eingeprägt und eingebrannt sind.« 94
› Hinweis
    Und er unterstreicht, dass das notwendige Gefühl zu einem nicht geringen Teil auch aus dem Wortlaut des Redetextes kommen kann, sofern zum einen dieser Wortlaut entsprechend emotional gestaltet wurde und sofern zum anderen der Redner die Bereitschaft mitbringt, sich von einem solchen emotionalen Gehalt berühren zu lassen:
    »Und man glaube ja nicht, es sei etwas so Großes und Wunderbares, dass ein Mensch so oft in Zorn gerät, so oft Schmerz empfindet, so oft von allen Affekten erschüttert wird, besonders wo es um fremde Dinge geht: Die Gedanken und Topoi, die wir in der Rede vorbringen und behandeln, haben selber eine solche Kraft, dass Vortäuschung und Betrug gar nicht nötig sind. Denn die Natur der Rede, die andere erschüttern soll, erschüttert den Redner selbst noch mehr als irgendeinen der Zuhörer.« 95
› Hinweis
    Und diese Betrachtung leistet

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