Das Begräbnis des Monsieur Bouvet
sprangen im Klassenzimmer über Tisch und Bänke.
»Bouvet schrieb uns 1939 aus Paris, und wir haben ihm die Urkunde wie üblich in doppelter Ausfertigung zugeschickt.«
Das war die Zeit, als der Personalausweis Vorschrift wurde. Bis dahin hatte man keinen benötigt.
»Sind Sie ganz sicher, daß er vor zwei Jahren gestorben ist?«
»Vor genau achtzehn Monaten erhielten wir seinen Totenschein aus Saigon. Er hat hier übrigens keine Erben mehr.«
»Ich danke Ihnen.«
Die Zeitung war gedruckt und überall in der Stadt ausgeliefert worden. Sie brachte das gleiche Foto von Bouvet wie tags zuvor, lediglich in etwas kleinerem Format. Der Begleitartikel trug die Überschrift: Das Geheimnis des amerikanischen Millionärs.
Um fünf Uhr hielt ein Taxi vor dem weißen Haus am Quai de la Tournelle, dem ein ziemlich aufgeregtes Paar entstieg. Madame Jeanne beobachtete kalt und mißtrauisch, wie sie über die Straße kamen.
Sicher wieder welche, die ihr ihren Toten klauen wollten.
3
N och bevor die beiden im Hausflur waren, ging sie zur Tür und öffnete. Sie blieb abwartend stehen und blickte ihnen mit zusammengepreßten Lippen starr entgegen.
Es war zweifellos das eleganteste Paar, das jemals das Haus betreten hatte. Sie sahen beide aus, als kämen sie geradewegs vom Film oder aus einem der Restaurants auf den Champs-Élysées.
Sie hatte sehr dunkles Haar und trug ein Kostüm aus cremefarbener Seide, vor der sich ihre Handtasche wie ein roter Fleck abhob – so wie ihre Lippen auf ihrer dunklen Haut.
Er ließ sie vorgehen. Sie zögerte, schlug ein paarmal ihre langen Wimpern nieder, die sicher falsch waren. Wie alle anderen auch hielt sie in der Hand eine Zeitung, die sie linkisch vorzeigte.
»Wir sind hier doch hoffentlich richtig.«
»Ja.«
»Sind Sie die Concierge?«
»Ja, das bin ich.«
Sie warf ihrem Gefährten einen etwas hilflosen Blick zu, der soviel zu sagen schien wie, der Fall sei schwieriger als erwartet oder die Concierge sei ein harter Brocken.
»Könnten wir Sie wohl ein paar Minuten sprechen?«
Vielleicht hatte sie ihren Vorstoß vorbereitet. Oder improvisierte sie wegen des unerwarteten Empfangs? Sie machte ihre Handtasche auf, als suchte sie ihre Puderdose, holte jedoch einen Geldschein daraus hervor und zerknüllte ihn in ihrer Hand.
»Ich höre.«
Die junge Frau warf einen Blick ins Treppenhaus, wo Vincent, der Sohn der Sardots, auf einer Stufe saß.
»Dürften wir vielleicht einen Augenblick hereinkommen?«
»Wenn Sie leise sprechen. Mein Mann schläft.«
»Meine Mutter war schon hier, aber ich stehe nicht mehr mit ihr in Verbindung. Das hier ist mein Mann.«
»Sehr erfreut.«
»Sie verstehen sicher, ich bin die Tochter von Monsieur … von Monsieur …«
»Von Monsieur Bouvet, ja, obwohl Sie ihm nicht ein bißchen ähnlich sehen. Sie sehen eher Ihrer Mutter ähnlich.«
»Darf ich mich setzen?«
Ihr Mann war groß, schwarzhaarig wie sie und hatte eingefallene Schultern. Er war ganz in Grau gekleidet wie sonst niemand hier im Viertel.
»Seit fast zwanzig Jahren«, sagte er, »hat meine Frau nichts mehr von ihrem Vater gehört. Sie können sich Ihre Aufregung vorstellen, als sie vorhin die Zeitung gelesen hat.«
»Hat sie die von gestern nicht gesehen?«
»Wir waren zufällig auf dem Land bei Freunden. Erst heute nachmittag, als wir zurückkamen …«
Madame Jeanne blieb stehen und beobachtete die beiden, versuchte zu erraten, was sie nun fragen würden.
»Ob es wohl erlaubt ist, ihn zu sehen?«
»Wer sollte denn das wohl verbieten? Ich habe die Schlüssel. Ich habe mich doch um alles gekümmert, zusammen mit den Nachbarinnen.«
»Das wußte ich nicht. Ich hatte gedacht, daß durch diese Umstände vielleicht …«
Sie warf ihrem Mann einen Blick zu, als erwarte sie Unterstützung von ihm.
»Meine Frau möchte Ihnen gern ein paar Fragen stellen. Sie ist ganz durcheinander und weiß nicht, wo sie am besten anfangen soll.«
Auf jeden Fall hatte sie ihre Hand geöffnet, und der zerknüllte Geldschein lag jetzt auf dem Tisch.
»Wie die Zeitung schreibt, haben Sie ihm den Haushalt geführt. Ich bin sicher, er hatte Vertrauen zu Ihnen und hat Ihnen gegenüber kein Blatt vor den Mund genommen. Hat er Ihnen jemals etwas von mir erzählt?«
»Nie.«
»Auch nicht von meiner Mutter?«
»Auch nicht von Ihrer Mutter, auch nicht von sonst jemandem.«
»Wollen Sie damit sagen, daß er gar nichts erzählt hat?«
»Er erzählte, wie alle anderen auch, von der Sonne, vom Regen, von
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