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Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Das Begräbnis des Monsieur Bouvet

Titel: Das Begräbnis des Monsieur Bouvet Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Georges Simenon
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im Grabe. Anwalt Guichard hat sie noch gekannt. Sie ist mit einundneunzig Jahren in meiner Wohnung an der Place des Vosges gestorben.
    Mein Vater dagegen starb ganz plötzlich, anderthalb Jahre nach Gastons Verschwinden, und bis mein Mann soweit war, das Geschäft zu übernehmen, gab es in der Spinnerei eine Menge Schwierigkeiten.«
    »Wenn ich Sie recht verstanden habe, fiel der letzte Besuch Ihres Bruders in Roubaix etwa in das Jahr …«
    »Es war im Juli 1897. Ich kann es Ihnen genau sagen, weil ich genug Zeit hatte, über das Datum nachzudenken. Ich erinnere mich sogar noch, daß die Sonne damals so herrlich schien wie heute.«
    »Glauben Sie, er wußte damals schon, daß er fortgehen würde?«
    »Leider habe ich mich damals gar nicht um ihn gekümmert. Ich wollte Roubaix am nächsten Morgen verlassen und nach Le Touquet fahren, wo wir gewöhnlich unsere Ferien verbrachten. Mein Verlobter wollte nachkommen. Das sind Versäumnisse, die man nachher bedauert. Für mich war das nur ein Blitzbesuch wie alle anderen, ein Abendessen ohne jede Unterhaltung, denn in Gegenwart seines Sohnes wurde mein Vater immer bedrückter.«
    »Sie glauben nicht, daß sie eine Aussprache miteinander hatten?«
    »Ich möchte eher das Gegenteil annehmen. Das paßte weder zu dem einen noch zu dem anderen.«
    »Monsieur Guichard, haben Sie die Lage schon vom juristischen Standpunkt aus betrachtet?«
    »Ich habe mit meiner verehrten Mandantin und Freundin erst ganz kurz hierüber gesprochen, und sie möchte nicht – gestatten Sie, daß ich es an ihrer Stelle sage –, daß ihr Besuch falsch verstanden wird. Die Zeitungen erwähnten eine gewisse Mrs. Marsh und ihre Tochter, die demnach die Tochter von … Gaston Lamblot wäre.«
    Es war seltsam. Jeder zögerte, wenn er ihn bei seinem Namen nennen sollte. Keiner wußte, ob er Marsh, Lamblot oder Bouvet sagen sollte. Vielleicht fand es unbewußt jeder peinlich, den Namen zu gebrauchen, unter dem der Mieter von Madame Jeanne gestorben war.
    Aber hatte er sich ihn nicht selbst ausgesucht, wie er sich auch seine Art zu leben und beinah auch seine Art zu sterben ausgesucht hatte?
    »Mrs. Marsh war mit ihrem Anwalt hier«, sagte der Direktor.
    »Auch das habe ich in der Zeitung gelesen. Vom juristischen Standpunkt aus ist ihre Lage heikel.«
    »Heute morgen hatte ich zudem Besuch vom Teilhaber Samuel Marshs – unter diesem Namen hat er die Ouagi-Minen GmbH gegründet.«
    Er wandte sich zu Madame Lair.
    »Ist Ihnen bekannt, daß Ihr Bruder allem Anschein nach ein ziemlich beträchtliches Vermögen hinterläßt?«
    »Ich kann Ihnen versichern, daß mich das nicht interessiert.«
    »Außer den mehr als neunhundert Goldstücken, die wir in seiner Matratze gefunden haben …«
    Das brachte sie zum Lächeln, und in ihrem Lächeln lag Zärtlichkeit. Sie war von den dreien die einzige, die hinter der Gestalt des Monsieur Bouvet, jenes Biedermannes, der so lange am Quai de la Tournelle gewohnt hatte, das Bild des Knaben und des jungen Mannes erblickte.
    »Das überrascht mich, glaube ich, am meisten, und ohne die Narbe hätte ich auch gezögert«, sagte sie.
    »Die Goldstücke?«
    »In der Matratze! Das sieht Gaston so gar nicht ähnlich.«
    »Abgesehen von diesem kleinen Vermögen ist er reich, sehr reich, wenn ich dem Glauben schenken darf, was ich soeben von einer belgischen Bank erfahren habe. Er ist praktisch der alleinige Besitzer der Ouagi-Minen, deren Wert auf hundert Millionen belgische Francs geschätzt wird.«
    »Das sieht ihm schon ähnlicher!«
    »Was wollen Sie damit sagen?«
    »Daß er sich, als er noch über dieses Vermögen verfügte, einen kleinen Schatz aus Goldstücken angelegt, darauf geschlafen hat und ab und zu je nach Bedarf eines davon genommen hat. Begreifen Sie nicht?«
    »Nicht ganz.«
    »Er hat dabei sicher wieder mit einem Mundwinkel gelächelt. Das war doch wieder einer seiner Streiche, verstehen Sie?«
    »Glauben Sie, daß er mit sechsundsiebzig Jahren immer noch Spaß an Streichen hatte?«
    »Ich glaube nicht, daß man sich so sehr verändert, wie man glaubt, bevor man selbst alt ist.«
    Und sie lächelte fast wie ein junges Mädchen bei einem Gedanken, den sie für sich behielt und der wohl nicht ihren Bruder, sondern sie selbst betraf.
    »Mrs. Marshs Ansprüche sind anfechtbar, und ich weiß nicht, wie die Gerichte entscheiden werden. Wenn die Ehe für null und nichtig erklärt wird, wenn die Vaterschaft nicht bewiesen wird …«
    »Aber ich bitte Sie, Herr Direktor.

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