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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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tollen Jungen gut erinnerte, dieser Ruckstuhl hatte Schwein gehabt. Es hätte auch ganz anders mit ihm ausgehen können. Denn es war doch Schnaps und der reine Übermut gewesen, das Herrengefühl, würde man heute sagen, die Siegerrasse. Wäre er statt an den Nissenbaum damals an den katholischen Kriegsgerichtsrat Dachert geraten, den Zentrumshansl und Erzbergerfreund, er wäre ohne weiteres wegen Mordes verknackt worden, statt wegen Totschlags unter mildernden Umständen, wie Herr Nissenbaum den Fall schließlich frisierte. Ja, so war es. Albert erinnerte sich immer genauer. Hatte er nicht in der Bahnhofskantine von Schaulen dabeigesessen, als die Leute von der Kommandantur auf den Schnellzug nach Berlin warteten, um den Ruckstuhl zur Beobachtung seines Geisteszustandes dem Professor Willbrandt zuzuführen? Er, Teetjen, sollte damals auch auf Urlaub fahren; Ruckstuhl und die Unteroffiziere hatten ein Coupé für sich, sie nahmen ihn mit hinein: es schlief sich köstlich im Gepäcknetz; Albert wußte noch heute, wie er darüber gelacht hatte, daß der Ruckstuhl, der an dieser Vergünstigung ja doch schuld war, sich mit dem Fußboden des Abteils begnügen mußte, wo man die Stöße der schlechten Federung am meisten spürte. Aber das tat ihm nichts, behaupteten die Berliner Unteroffiziere, diese Strafe habe er sich verdient, das müsse er zugeben. »Gut«, rief Herr Footh und lachte zustimmend. »Das wußte ich nicht. Der Zug war mir neu. Das unverbrüchliche Rechtsgefühl unseres Volkes. Und was würdest du sagen, wenn ich dir nun etwas Ähnliches vorzuschlagen hätte? Der Ruckstuhl war doch ein Zufallstreffer. Du bist ein Fachmann. Viermal zuschlagen, und zweitausend Mark sind dein.« – Und in der gemütlichen und humorigen Sprechweise des Hamburger Volkes legte er ihm dar, auf welche Weise er sich eben jetzt um den Senat und den Reichsstatthalter verdient machen konnte.
    Immer öfter traten jetzt neue Gäste an den Vorhang, um hineinzuspähen und mit Entschuldigungen zurückzutreten. Die großePetriturmuhr hoch über allen Köpfen schlug eins. Albert Teetjen blies blauen Rauch von sich und betrachtete gleichzeitig und gleichsam mit angehaltenem Atem den Reeder, Standartenführer im NSKK. und Kriegskameraden, der ihm da den Vorschlag machte, die Stelle des Henkers aus Magdeburg zu vertreten. Er hatte ihn mit guten Dingen gefüttert, Bier und Schnaps nicht gespart und ihm die Geschichte nur auf Umwegen beigebracht – sie verbarg also Haken und Bedenken. Irgend etwas in seinem Innern hatte sofort »ja ja« gerufen; zweitausend Mark, wer schlug die wohl ab! Aber dennoch gab es da Hemmungen und Schranken. Und die hießen: Stine und die Wagnerstraße. Das Henkeramt war nun einmal von besonderer Art, unheimlich und unehrlich. Durch die Gräber, die es schuf, stand es gleichsam mit den Eingeweiden der Erde in Verbindung, dem geheimnisvollen Boden. Im bürgerlichen Leben blieb das Töten von Menschen kitzlig; das mußte er Herrn Footh zu schmecken geben, der ihm die Sache so harmlos und fast ehrenvoll mundgerecht machen wollte. »Dem Henker ins Handwerk pfuschen. Ich fürchte, das wird nicht gehen. Erstens wegen meiner Frau. Und zweitens wegen dieses Rockes.« – Herr Footh zog die Brauen hoch. Zum ersten Punkt konnte er ja wohl nichts sagen, der blieb Kamerad Alberts Sache. Für den zweiten gab es natürlich einen Ausweg: Frack und Maske. In einer schwarzen Seidenmaske oder in einer weißen erkennt dich dein eigener Vater nicht. Letzteres sei vielleicht übertrieben, Väter erkennen einen immer; Nachbarn aber und Hausbewohner und selbst Kameraden von der SS.? Ausgeschlossen. Im übrigen fanden solche Vorgänge zwar öffentlich statt, aber nur vor geladenen Gästen. Und Leute von der Presse wurden eben nicht eingeweiht: Herr Denke hat endlich seinen Stellvertreter aus Magdeburg geschickt, basta. Und jetzt wollten sie noch einen Kaffee trinken, unter Bäumen, im Alsterpavillon. Herr Footh hatte noch ein Viertelstündchen Zeit, bis dahin konnte sich Albert ja schlüssig werden. »Vorwärts, Herr Ebert, wir räumen den Tisch.«
II
    In einer eng gebauten Geschäftsgegend haben es selbst kleine Wagen schwer, des Mittags durchs Gewühl zu schlüpfen. Herr Footh hatte selbstverständlich die Rechnung beglichen, seinen Gast vorher aber hinausgeschickt. Jetzt steuerte er langsam der Alster zu; Albert neben ihm bestrebte sich, das Hochgefühl zu verbergen, mit welchem er in dem grauen Leder des Kabrioletts lehnte. Wunderbares

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