Das Beil von Wandsbek
vergehen und zerfallen? Wenn sie am Tische saß und sich freute, den Albert daheim zu haben, belustigte sie sich heimlich über seinen Professor aus der Laubengasse, die es in Hamburg gar nicht gab, seinen Neffen, seinen Isländer und all den Kram. Haben wir nicht alle einen Vater, hatte die Großmutter sie gelehrt, hat nicht ein Gott uns alle erschaffen? Heute war das mit der Rasse modern, gestern die Astrologen mit ihren Horoskopen, vorgestern Prophet Weißenbergmit dem weißen Käse. Das waren so Moden, die wechselten wie Karos und Streifen, Pullover und Jumper. Hätte sie ein Kind gehabt, worauf man ja durchaus noch immer hoffen konnte, sie hätte schon gewußt, was ihm beibringen, damit es sich gut benahm und auf Erden glücklich wurde. Leider seit der Geschichte mit dem Beil hatte es bei ihr nicht wieder geschnappt. Nun, auch dagegen war nichts zu machen. An einen lieben Gott, den man deswegen mit Gebeten bestürmen könnte, glaubte sie auch nicht; das war Frauensache, und die Katholischen hatten für diese Abteilung des Menschendaseins ihre Muttergottes und Dutzende von Heiligen. Mädchen, Frauen, Prinzessinnen und Märtyrerinnen. Und das wäre ja recht gut gewesen, lockend und geradezu verführerisch, wenn sie nicht gleichzeitig die Narretei mit den Klöstern durchgehalten hätten, den Mönchen und Nonnen. Was wollten die vom Leben verstehen! Mensch, vergiß das Beste nicht, hieß es in einem Märchen, und da war natürlich die ewige Seligkeit mit gemeint. Daß aber das Beste in der Liebe zwischen Mann und Frau lag, in der Erfahrung, daß man einander nie satt bekam und sich immer tiefer eins ins andere verliebte, wie sollte das solch ein eheloser Krüppel begreifen? Da war ja noch Tom Barfey besser dran, der freche Kerl, als solch ein schwarzer Gelübdebruder mit Armut, Keuschheit und Gehorsam. Die Liebe höret nimmer auf, das war der schönste Satz in der ganzen Bibel. Und wenn ihr Albert auch besser daran getan hätte, vorigen Herbst einen anderen Ausweg aus der Klemme aufzuspüren, als den, der nach Fuhlsbüttel führte und zu dem Footh ... Aber wie denn? Hatte er diesen Weg gesucht oder sie selbst? War das Draufgängertum gewesen, als in der Kasse die Ebbe nicht mehr nachließ, oder hatte nicht vielmehr sie ihrem Schiffchen die Richtung gegeben und das neue Segel gesetzt? Albert war der Arm gewesen und, wenn man wollte, das Herz, den Kopf aber und die Finger hatte sie beigesteuert und dafür auch manch heimliches Hochgefühl eingesogen und Lob und Dank entgegengenommen. Und wenn er jetzt am Tische saß und mit aufgestütztem Arm in dem Schmöker ackerte, der so krauses Zeug vom Innern der Erde aufwartete, so hatte wiederum sie ihm den aus der Leihbibliothek geholt und all die Gedanken in Gang gebracht,über die er sie dann und wann befragte. Mann und Frau, eins und unteilbar waren sie, wie die Zeitungen manchmal geschrieben, im Fleisch und im Geiste, bei Tag und Nacht. Brannte im Innern der Erde ein Feuer – warum nicht? Stiegen von Wasserläufen Strahlen auf, von Eisenadern oder Petroleum, bitte schön. Ihr Albert war sicher kein Durchschnittsmensch, das hatte sie früher gewußt als der Dr. Laberdan oder der Vereinsvorsitzende. Und in ihrer Familie, von den Geisows her, wirkte manchmal etwas Spökenkiekerisches herüber, von dem sie selber hoffentlich nur wenig abbekommen. Im übrigen aber war Rechtschaffenheit ihr Gewinn und ihr gutes Gewissen und eine gewisse Freundlichkeit zu allen Menschen rundum und damit basta. Mochten immer in der Erde noch Überreste sonderbarer Tiere ihr Unwesen treiben, sie, Stine Teetjen, brauchte all das heidnische Zeug nicht, auch keinen Streit zwischen deutschen Christen und Bekenntniskirchen. Ihr Gesangbuch und ihr Evangelium reichten aus für Leben und Sterben, und der, welcher den Menschen auf die Erde gesetzt hatte, wußte bestimmt warum und wozu. Und schade war es bloß, daß man der Kälte wegen kein Fenster öffnen konnte, denn von drüben, von Lawerentzens, kam bestimmt hübsche Tanzmusik, und sie hätte den Albert gern von seinem Buch weggeholt zu einem Foxtrott, immer vorbei am Tisch.
Den Stillstand des Geschäftes bemerkten die beiden kaum. Im Januar war, wie bei jedermann, eine Steuerzahlung fällig, und Stine war stolz, sie dem Finanzamt überweisen zu können, obwohl dieser Postscheck von ihren Beständen ein nettes Sümmchen abriß. Da am Jahresschluß auch für Fleischlieferungen an die Innung Beträge fällig gewesen waren und die Miete für die Räume
Weitere Kostenlose Bücher