Das Beil von Wandsbek
Stine. – »Bei uns ist grad jemand, bietet Wäsche zum Kauf, da müßt ich doch mal sehen, was wir von euch zu erben haben.« Stine erblich, der Atem versagte sich ihr. In ihrer Wohnung, ihrem Heim! Sie fühlte sich aus der letzten Zuflucht aufgestöbert wie ein scheues Tier, das sich nur verkriechen will, niemanden angreifen, ein Dachs in seiner Höhle oder eine vom Hund gestellte Katze auf ihrem Pfosten oder Ast. »Hätt ja doch wohl noch Zeit«, brachte sie mühsam vor, die Augen fest auf dem Gesicht der Feindin, die sie jetzt zum erstenmal auch vor sich so nannte. »Zeit oder nicht«, erwiderte Frau Lehmke, »man muß doch wissen, disponieren können.« Stine verharrte zwischen ihrem Sofa und dem ovalen Tisch eingeklemmt, auf gewisse Weise gelähmt; die Tür nach dem Schlafzimmer stand offen, es blitzte, fahlblau füllte der Schein die Stube. Dörte, das freche Ding, der Stine allerdings oft genug gestattet hatte, sich bei Teetjens wie zu Hause zu fühlen, schlüpfte ins Schlafzimmer und rief der Mutter zu: »Komm doch schnell, Mama, sieh nach, wir müssen doch wieder heim.« Und man hörte, wie sie den Schlüssel des Wäscheschrankes umdrehte. »Ja, da müssen wir fix machen«, bestätigte Frau Lehmke und folgte der Tochter. »Ist noch alles da, Mami«, rief das Gör, in der Stimme ebensoviel Angst wie Dreistigkeit, »Bezüge und Laken und Kopfkissen für sechsmal.« Endlich fand Stine die Rede wieder, die ihr der Einbruch der Räuber verschlagen hatte. Wie die zierliche Katze setzte sie sich zur Wehr. »Frau Lehmke«, rief sie, Krallen in der Stimme, »wer wohnt denn hier?« – »Was denn, was denn«, keifte die Lehmke ungeduldig, aber mit einem Untergrund von Befriedigung, »schließlich steht ein Haufen Geld auf dem Brett.« Endlich vermochte Stine sich wieder zu bewegen. Sie schob sichvorwärts, obwohl sie sich am Tisch festhalten mußte, weil ihr die Knie zitterten. »Nun macht aber wohl hinaus«, rief sie und streckte die Hand befehlend gegen die Tür. »Das ist ja doch ein zu starkes Stück!« Wie ein schlanker Knabe wirkte sie vor der massiven Gestalt der anderen, die gleichwohl bereits aus dem Schlafzimmer herausgekommen war und rückwärts zur Tür wich. »Weg, Mutter, weg«, keuchte Dörte, weil es wieder blitzte. »Ihr Fledderer«, schrie Stine, »Erpressergesindel«, die Faust drohend hoch. Jetzt krachte der Donner zugleich mit dem gelben Schein eines neuen, eines einschlagenden Blitzes. Die Lehmke stand noch einmal da, schweflig erleuchtet, mit phosphornen Augen; was sie da wieder rief, ward vom donnernden Nachhall zugedeckt. Sie schlug die Tür zu, daß es klirrte; diese Außentür besaß Milchglasscheiben. Stine lief ihr nach, drehte den Schlüssel im Schloß, zog ihn heraus, warf ihn in die geöffnete Schublade. Sie zitterte am ganzen Leibe. Daß sie sich auf diese Person nicht hatte stürzen können! All ihr Angriff schlug in Ekel um, Raserei gegen sich selbst. Sie riß den gerollten Gewehrstrick aus der Schublade, entknotete ihn mit fliegenden Händen. Die Lehmke, das war die Partei, der böse Geist, die Hexe, die Menschen kochte und ihnen vorher den Kopf mit dem scharfen Rand der Apfelkiste abgeschlagen hatte. Nicht mit dem Beil, auch nicht mit Alberts Händen. Nur der Tom hatte sie gelästert, ihr Albert aber nie. Und doch pflanzte sie sich eben in seinem Zimmer auf mit ihrem Balg und zog seiner Stine das Brett oder Bett unterm Hintern weg, mit Phosphoraugen und Gift in der Stimme. Das nicht mehr, bloß das nicht nochmals! Sie stieg aufs Sofa, hielt sich an der Mauer, auf den Tisch, griff schwindelnd nach dem Lampenhaken, hakte das Pendel aus, ließ es aufs Sofa fallen. Indes ihre Hände all das taten, weinten ihre Augen aus Mitleid mit sich selbst, brachten ihre Zähne, Lippen, Zunge die Worte des Vaterunsers hervor, das sie seit Anna Teetjens Begräbnis nicht mehr gebetet. In zwei Wesen gespalten, ein leidendes im Gefühl, ein handelndes der Selbstvernichtung, knüpfte sie eine Schlinge. Zu oft und zu lange hatte sie den Lockungen der Großmutter gelauscht, die den Weg wies ins Innere, den großen Ausweg in den Tod, gegen das eigene Ich, den Durchbruch aller Verzweifelten durch die Schichten der Seele,die das Leben abgesetzt hatte, niedergeschlagen Tag für Tag und Nacht für Nacht. »Vater unser, der du bist im Himmel ...« Der Strick glitt um ihren Hals, hing fest oben im Haken. Bei den Worten: »Dein Reich komme, Dein Wille geschehe und vergib uns unsere Schuld«, brach sie in die
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