Das Beil von Wandsbek
kurz und schlug mit einer Gerte, die er sich im Vorbeigehen von einem Baum gebrochen, auf seine blankbraunen Ledergamaschen. Käte Neumeier wiegte ihren jugendlich frischenund dennoch grauhaarigen Kopf. »Was in aller Welt kann das – was hat das mit dem Reeperbahnprozeß zu tun?« – »Kätchen«, entgegnete er, »Sie sind doch kein Schaf, beinahe Verwandte und Schwägerin. Daß Sie es nicht wurden, haben wir dem K. A. verdammt übelgenommen, ob Sie’s glauben oder nicht. Die Sache hat gar nichts mit dem Mengers zu tun, auch nicht mit den beiden andern, dem Merzenich und dem Schröder. Deren Gesuche haben wir lange hin- und hergedreht, bis wir uns entschlossen, die zuständige Stelle um Ablehnung zu bitten. Hier spielt nun einmal wirklich der alte Satz seinen Trumpf aus: mitgefangen, mitgehangen. Der Mann Timme wagte es Anno achtzehn, seine Vorgesetzten mit der Pistole zu bedrohen. Er hat den Geist des Aufruhrs und der Revolte verkörpert, die Kassen und Bücher seines Regimentes durchstöbert, sich Befugnisse beim Bekleidungsamt angemaßt, am Novemberverbrechen teilgenommen. Den Hamburger Arbeitern galt er seither als Symbol, in ihm verkörperte sich ihr Pöbelaufstand. Wenn er auch nur eine örtliche Größe war, hier war er eine. Ihr Mengers geht an diesem Timme zugrunde.« – »Gerecht ist das nicht«, entgegnete Käte Neumeier, erfüllt von dem sonderbaren Gemisch aus Triumph – daß sie den Gegner über ihr wahres Ziel so ganz im unklaren ließ – und von Erschlagenheit über die kühle und krasse Sicherheit des Militärs. »Weder gerecht, noch weise. Denn den Sinn für Recht und Unrecht in unseren Arbeitern, den unterschätzt ihr offenbar. Wenn ihr glaubt, dadurch ein besseres Arbeitsresultat im Rüstungsbetrieb zu erzielen ...« – Der Oberstleutnant hob seine Brauen. »Mag sein; wäre ein unerwünschtes Nebenergebnis, an das man später denken wird. Ein Grund mehr, den Führer persönlich um sein Eingreifen zu bitten. Will ohnehin in Hamburg nach dem Rechten sehen, seine Elbbrücke poussieren, für die wir gar nicht sind. Aber wenn dem so ist, soll er nur kommen, seine Zauberzunge schwingen, die Seele des kleinen Mannes zurechtkneten. Das Hauptergebnis hat zu sein: Weh dem, der gegen seinen Vorgesetzten die Waffe hebt! Wer revoltiert, kommt an die Wand oder auf den Block – früher oder später. Brachte da vor ein paar Monaten ein Kamerad eine Geschichte mit aus Berlin, vom Reichswehrministerium, die das vielleicht illustriert. Eine wahre Geschichte,die man leider nicht erzählen kann, öffentlich meine ich, den Arbeitern. Zwischen uns beiden wär’s eine andere Kiste. Sie würde beweisen, daß wir mitten im Kriege sind, und daß Friedensbegriffe notwendig ein falsches Bild ergeben müssen. Falsche Maßstäbe verzerren jede topographische Aufnahme – aber daran ist nicht das Gelände schuld, das sich meistens ganz normal verhält.« – »Hm«, machte sie, »lassen Sie mich später darum bitten. Mitten im Kriege, sagten Sie eben? Ist das Ausland davon schon unterrichtet? Was wird Ihr Bruder dazu sagen, wenn New York Times oder Columbia Radio aus dem Hamburger Urteil und seiner Durchführung mit dem Beil entsprechende Folgerungen ziehen? Weiß Ihr Herr Bruder schon, was er darauf wird antworten müssen? Die amerikanischen Journalisten in unserem Lande – haben die nicht bewiesen, daß sie verdammt schlaue Burschen sind und unsere Zustände recht gut verstehen? Den einen weist man aus, aber sein Nachfolger läßt sich nicht dümmer machen. Hierzulande drückt er sich vorsichtiger aus. That’s all. Der Leitartikel drüben wird um so deutlicher sein.« –
Oberstleutnant Lintze begann augenscheinlich erst jetzt diese Unterhaltung ernst zu nehmen. Sein Unterkiefer schob sich ein wenig vor, was den Ausdruck seines Gesichtes ungünstig veränderte, und der Blick, den er drohend ins Weite richtete, galt, das fühlte sie, eigentlich der Partnerin. »War dies das Geschenk, an das Sie dachten, meine Liebe?« – »Genau so«, sagte Käte Neumeier, »und wie ich sehe, nehmen Sie es mir übel.« – »Durchaus nicht«, schwindelte er, »da Ihnen der Junge offenbar schrieb, daß er nach New York strebt, und Sie ihm Schwierigkeiten ersparen wollten, wage ich den Schluß, daß zwischen euch noch nicht alles aus ist, und daß Sie schließlich nicht abgeneigt wären, als Frau Vizekonsul Lintze drüben aufzutauchen. Also findet hier eine Familienunterhaltung statt, die ja manchmal, wie man flüstert, erbitterte
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