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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Geige spielt, die Industriekapitäne oder wir. Ob wir aufrüsten müssen, damit die Schornsteine wieder rauchen, oder umgekehrt, weil wir die letzte Runde vom Herbst achtzehn nochmals riskieren wollen, nach der kleinen Atempause, die unser Seeckt schon damals für nötig erklärte. Jetzt heißt er nicht mehr Seeckt, jetzt heißt er Fritsch, aber Name ist Schall und Rauchfleisch. Und da kommt mein guter Ehlers. Herr Graf, sechzig Pferde sind vorgefahren.« – Sie standen auf und gingen auf dem gewalzten Parkweg dem Wagenentgegen, dessen zementene Fahrbahn die Anlagen rechtwinklig schnitt. »Das Gesuch bleibt also besser in der Schublade?« resignierte sie, indes sie ihren leichten Filzhut aufs Haar drückte. – »Aber ja«, stimmte er zu, »die zwei vorhandenen Gnadenwische langen ja auch für die anderen Herren, zum mindesten für noch einen. Ich bin natürlich nicht so dumm, daß ich Ihre Anregung nicht nach oben weitergäbe. Wozu haben wir Telephone und Köpfe über den Achselstücken? Wer mehr Gehalt kriegt, hat mehr Verstand oder bessere Beziehungen, lies Informationen. Das Tauziehen zwischen der Partei und den hohen Chefs erzeugt ohnehin jenen beständigen Wechsel, von dem der alte Grieche orakelte. Ach ja«, sagte er, während sie sich bequem in den Lederpolstern unterbrachten und lautlos fortrollten. »Ich schulde Ihnen noch die Kurzgeschichte. Gehört ja auf gewisse Weise zur Sache, weil es sich zufällig auch um vier Leute handelt, von denen einer die Pistole gegen einen Vorgesetzten richtete. Wußte nicht, daß der sein Vorgesetzter war – um so schlimmer für ihn.« Und während der Wagen durch die Straßen glitt, auf deren Bürgersteigen Spaziergänger die Mittagssonne suchten, ihren schon blasseren Schein, hupend Straßenbahnen überholte, das rote und grüne Licht der Verkehrsampeln streng befolgte, hörte Käte Neumeier ihrem Begleiter zu, immer tiefer von dem Widerspruch angegraust, der zwischen der Welt klafft, welcher dieser hamburgische Alltag angehörte, und jener anderen Wildwestwelt, in der sich Deutschlands Geschicke entschieden, vielleicht die der ganzen europäischen Zivilisation. Bekanntlich war am dreißigsten Juni vierunddreißig unter anderem auch General von Schleicher mit seiner Gattin von SS.-Leuten erschossen worden. Damals, glossierte Lintze, war offenbar niemand da, die Dinge zu steuern; Opfer fielen von links und rechts innerhalb unserer Sphäre. Aber als man sich erholt hatte und das Trümmerfeld beschaute, gab es Katzenjammer hüben und drüben. Die alte Macht, die Hausmacht – wir – er sprach diese Silbe mit Nachdruck –, die durfte sich noch nicht trauen, an Gegenschläge zu denken. Es entstand ein Aktenstück über den »Mißgriff« Schleicher, für den das ganze dritte Garderegiment zu Fuß Rache brütete. General von Fritsch ermutigte die Hinterbliebenen, das Reich auf Schadenersatz zu verklagen.Schleicher war schließlich nicht bloß Wehrminister und Kanzler gewesen, sondern auch Generalstäbler und Gardeoffizier mit dreißig Dienstjahren. Es kam der Führerclique natürlich sehr verquer, daß jemand aufmuckte. Die Erschossenen hatten als in Ungnade gefallen zu gelten, und Ungnade ist schwärzer als Tinte und klebriger als Pech. »Hände weg davon«, erläuterte Lintze behaglich in seiner sauberen Sprechweise. »Nun befanden sich besagte Papierchen im Reichswehrministerium in der Schublade des Majors von X, und ein gewisser Herr Himmler wünschte, sie zurückzukriegen. Die SS., für die er doch verantwortlich zeichnete, kam ja darin nicht ganz gut weg; das Reich würde zahlen müssen, und Zahlungen hatten ein für allemal nur in die Kasse der Partei zu laufen, nicht aus ihr hinaus. Erschienen also eines Morgens vier SS.-Leute in schön lackierter Uniform bei Major von X und ersuchten um Herausgabe der Akten Schleicher. Und als von X die Herren nicht schnell genug verstand, beging einer von ihnen die Unvorsichtigkeit, die sie das Leben kosten sollte: zückte ein Pistölchen und hielt es von X unter die Nase. Dachte wohl, er habe es mit einem Bankmann zu tun oder einem jüdischen Rechtsanwalt. Von X lachte. Er saß hinter seinem Schreibtisch wie hinter einer kleinen Burg und hatte keine Angst, sonderbarerweise. Aber das wußten die SS.-Leute nicht; sie ahnten nicht, daß Krieg sagt, wer gegen einen preußischen Offizier die Waffe hebt, und daß der Krieg seinen eigenen Gesetzen gehorcht. Er bückte sich nach einer Schublade; in Wirklichkeit aber nach einer Klingel. Die

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