Das Beil von Wandsbek
durfte sich der Mensch immer menschlich verhalten. Das hatte gestimmt – bis vorgestern. Jetzt klang ein scheußliches Kichern auf, als Begleitung so wohltönender Prägungen – hol’s der Teufel.
Gegen Ende des Vormittags wäre beinahe etwas dazwischen gekommen. Als Sekretär Holzmüller sich gerade entfernte, nach gewissen Abmachungen mit Frau Doktor, begegnete er im Korridor ihrem Neffen, dem Zeichner Boje, Sohn des kriegsgefallenen Volksschullehrers Boje, der die Grete Neumeier geheiratet hatte und mit ihr eine überaus glückliche, von Wilhelm II. abgekürzte Ehe geführt hatte. Bert Boje stand gut mit der Tante, die ihm ihre Bücher zur Verfügung stellte und ihm, was immer es kosten wollte, ein Studium ermöglicht hätte, worauf der junge Bert aber mit heiterem Lachen verzichtete. Das Leben war eine Revolution geworden, aber die Käte – er nannte sie meist beim Vornamen, ohne feierlichen Familientitel – hatte davon noch nicht läuten gehört. Universitäten! Selbst das abgekürzte Studierverfahrenbrachte die Leute aus dem Kontakt mit dem wirklichen Leben, dem wirklichen Volk und seiner Substanz. Zudem waren alle akademischen Berufe in Deutschland und anderwärts überfüllt. Niemand Vernünftiger sollte jetzt auf Warten studieren, wo sich die Technik in ungeheuerstem Maße entfaltete. Gerade hatte ein amerikanischer Ingenieur, der Herr hieß Moses, ein außerordentliches System von Autostraßen erfunden, um die überfüllte Stadt New York kurz und schmerzlos von ihren Sonntagsfahrern und Businessmen zu befreien, die nach Geschäftsschluß im eigenen Wagen nach Hause wollten. Derartige Ausfallstraßen über den Dächern oder unter den Häusern durch würden bald auch die deutschen Großstädte brauchen, im Ruhrrevier, nahe Hamburg, in Mitteldeutschland und Berlin. Die Hamburger Lösung würde besonders spannend werden. Bert hatte heute Vormittag frei bekommen, weil sich draußen in Finkenwärter im Zusammenhang mit dem Projekt der Elbhochbrücke ein Hemmnis ergeben hatte, ein Einspruch der Reichswehr, der ebensogut drei Wochen früher hätte angemeldet werden können. Die in Tiefbau ausgeführten Petroleum-Reservoire, die dem neunten A. K. dort gehörten, dürften in ihren Zu- und Abfahrtwegen nicht geniert werden, hatte der kommandierende General mit einem friderizianischen Fremdwort an den Rand des eingereichten Plans vermerkt, und dabei enthielt dieser Plan nicht einmal die volle Wahrheit; das volle Ausmaß des Projekts hätte die Einbeziehung dieser Tanks in die Fundamente der neuen Brücke verlangt, ihre Verlegung weiter hinaus auf Cuxhaven zu. Hätten die Herren eben auf diese Tanks für ein, zwei Jahre verzichten müssen, wenn der Plan an dieser Stelle und an sonst keiner anderen ausführbar gewesen wäre, und siehe da, schon die geringste Beeinträchtigung ihrer Zufahrtswege verbaten sie sich, diese ... Soweit hatte Käte Neumeier den ungestümen jungen Mann kommen lassen, der bei dem herrlichen Wetter den freien Mittag mit ihr verbringen wollte, sei es im Erfrischungsraum eines Warenhauses, sei es auf einem langen Spaziergang längs des Alsterbassins. Und da mischte sich Herr Holzmüller ein, der im dunklen Korridor seine ebenso dunklen Handschuhe nicht hatte finden können. Die jungen Herren in den braunen Kletterwesten hätten allenGrund, äußerte er mit seiner ängstlichen Quetschstimme, mit ihren Äußerungen vorsichtig zu sein, soweit es sich um das Heer handelt. Das halte noch auf Zucht und Ordnung. In dessen Lagern und Kasernen wäre kaum je ein junger Mensch zu Schaden gekommen, was die Sozialdemokraten auch früher geschrien hätten. Wer aber heute tiefer hineinsehe in die Nöte der Jugend, der wisse besser Bescheid und wolle sich in aller Bescheidenheit solche Kritik an dem Besten verbitten, was im Vaterland vorhanden sei. Worauf er sich mit einem giftigen Blick auf den jungen SA.-Mann und einer altmodischen Verbeugung vor der Ärztin entfernte. Bert Boje sah ihm lachend, wenn auch etwas betroffen, nach. »Wenn die Kerle hinter ihrem Schalter sitzen, da haben sie Mut, lassen das Publikum warten und spielen den dicken Wilhelm«, vermerkte er, »aber was ist in den gefahren, daß er es sich auch im freien Felde leistet, ungeschützt, als ob ihn jemand persönlich abgekratzt hätte.« – »Laß ihn laufen, Bert«, entgegnete Käte, indem sie sich zum Ausgehen fertig machte, »jeder hat im Hintergrunde sein Päckchen zu tragen; es ist nicht alles Gold, was glänzt. Fein, daß du Zeit
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