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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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rief Annette bewundernd, »die du draußen unter den Bäumen mit den Füßen wegschobst.« – »Ja«, sagte Käte, »aber für Blumen gelten als Herbstfarben lila und gelb, weil sie aus dem schwindenden Licht noch das meiste herauszuholen vermögen. ›Wirtschaft, Horatio, Wirtschaft‹.« – Dagegen nun empörte sich Annette, sie hielt es mit den Chinesen, die berückende Geister- und Liebesgeschichten zwischen jungen Studenten und den Dryaden oder Feen spielen ließen, welche in solchen Blumen wohnten. »Nur daß sie auch die Päonie in dieses Spiel miteinbeziehen, ärgert mich. Päonien sind dumm und haben keine Seele.« – »Die unseren«, stimmte Käte Neumeier zu, »aber die chinesischen?« – »Lotte Garchow ist in China geboren. Man könnte sie fragen«, erwog Annette. Dann lachte sie hell auf. »Aber sie ist ja schon mit sieben wieder heimgekehrt und erinnert sich an gar nichts. Selbst eine Päonie.«
    Durch die Glasscheiben – »Ich muß Ingebottel sagen, daß sie sie vor der Eröffnung noch einmal überputzen läßt« – durch diese Glasscheiben lockte der Herbstmittag mit süßem und zartem Blau, Klarheit in der Nähe, verschleierndem Dunst der Ferne. Die beiden Frauen, die jüngere und die noch junge, schritten zwischen den Topfgruppen hin und her, beugten sich über die verlockendenGeschöpfe, machten einander auf dieses oder jenes Exemplar besonders aufmerksam; damit aber ließ die Anziehungskraft der ausgestellten Zuchtprodukte nach. »Mein weiser Vater, der dich grüßen läßt« – »danke«, sagte Käte Neumeier – »hat, sagte er, in einer Schweizer Zeitung die Bemerkung gefunden, später einmal werde man die Weimarer Republik mit einem Gartenflor im Herbst vergleichen, wo sich alles noch einmal zu überstürzter und reizvoller Farbenpracht des Verfalles zusammenfindet, bevor der Winter dem Geblüh ein Ende mache. Als Schluß habe der Herr Georgesche Verse aus dem ›Jahr der Seele‹ zitiert.« – »Wie kurzsichtig«, rief Käte Neumeier, »das Dritte Reich dem Winter zu vergleichen. Vielleicht aber auch nicht; Winter muß vorhergehen, wo neuer Frühling sich ankündigt.« – Und dann mußte sie sich zusammennehmen, um wieder einmal ein »Schütteln des Kopfes« zu beherrschen; welche Käte Neumeier sagte das? Die Heutige? Die von vorgestern?
    Zum Glück achtete Annette im Augenblick nicht auf sie. Im Nebenraum, bei den Dahlien und Astern, ward ein Wortwechsel laut. »Laß uns draußen unsere Stullen futtern und eine Tasse Schokolade trinken. Kleinbürgerinnen in der Sonne«, schlug sie vor. »Und was gibt es«, fragte sie, »bei den aufgeregten Männern nebenan?« Jemand hatte im letzten Augenblick entdeckt, daß die Reihen in diesem Hauptraum – schwarzrote Georginen, purpurne Dahlien, honiggelbe Astern, in breiten Streifen untereinander, eine gewisse, jetzt verfemte, einst populäre Reichsfahne darstellten, das Schwarz-Rot-Mostrich der Systemzeit. Es ergab sich, diese Anordnung sei gedankenloserweise von der letzten Blumenschau übernommen worden, die vor fast fünf Jahren im gleichen Raum stattfand. Sie hätte den Verantwortlichen ohne weiteres ins KZ. verschmettert. Jetzt ließ er all die Hunderte von Töpfen eilig auswechseln, die gelben Astern durch weiße ersetzen, die roten Dahlien in die vordersten und unteren Bretterreihen der Regale verteilen. Es würde zwei Stunden Arbeit kosten, aber die Reichsfarben schwarz-weiß-rot wieder herstellen. Die beiden Damen benutzten zufällig die gleiche Bank, aber sie wußten es nicht, auf der Herr Footh mit Albert Teetjen jenes folgenvolle Mittagsmahl beschloß; von ihm aber war die Rede,als hätte die große Kastanie, der Zeuge von damals, Einflüsse ausgestrahlt. Blauer Glanz lag über den weiten Wassern der Alster, die Schwäne kreuzten heran, gelockt vom Anblick essender Menschen. »Warum begingen wir eigentlich den Fehler«, fragte Käte Neumeier, wie vor sich hin, »der scheußlichen Szene zuzusehen?« – »Du selber machtest den Vorschlag«, entgegnete Annette sanft, »ein Arzt dürfe vor nichts zurückschrecken.« – »Stimmt«, gab die andere zu, »ich habe es zu bereuen. Das Bild läuft mir nach.« Und sie biß ins Brot. »Aber wie kam dein Footh bloß zu dem scheußlichen Kerl? Muß doch gar nicht einfach gewesen sein, dies Museumsstück aufzutreiben, solch einen Auswurf der Heidenzeit?« – Annette lächelte über diesen sonderbaren Ausdruck: »Mir zuliebe und mit deiner Hilfe.« – Käte Neumeier fiel beinahe das Brot aus

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