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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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der Hand. »Erlaube mal«, rief sie halblaut, aber so intensiv, daß Annette fast erschrak. »Ist aber so«, verteidigte sie sich. »Er schrieb einen Brief voll gewisser naiver Vorschläge – Protektion bei der Bürgerschaft oder dem Senat. Das Kuvert aber stammte von deiner Hand.« – Käte Neumeier saß sprachlos da, die Augen weit auf Annettes Gesicht. »Kein Irrtum?« fragte sie, schwer atmend. »Ich gebe ja manchmal Menschen, die Arbeit suchen und Hilfe verdienen, die Privatwohnung wohlhabender Freunde – in meiner eigenen Schrift wird das besser beachtet. Aber ich entsinne mich nicht ... An euch? Und wann?« – Sie schwieg, starrte auf den Uferrand gegenüber, vermochte kaum, Bestimmtes zu unterscheiden; ihr schwindelte. Es durfte nicht sein. »Footh hat, neben anderen, die Eigentümlichkeit, Briefe mit ihren Umschlägen aufzubewahren. Ob der Marken wegen oder aus Ordnungstrieb, wüßte ich nicht zu sagen. Aber ich rufe ihn an. Du bekommst den Beweis in die Hand.« –
    Käte Neumeier hatte das Gefühl, daß die Erde bebe. Wenn sie den Umschlag wieder sah, würde sie sich leichter erinnern, für wen sie ihn damals beschrieben. Sie konnte keinen Teil ertragen an diesem Werk des Schreckens. »Ja«, sagte sie, »bitte laß mich ihn haben. Als Memento mori, zum Abgewöhnen. Ich werde es nie mehr tun – wenn’s stimmt. Was alles man in Bewegung setzt mit einem solchen Schrieb – man weiß das nie.« – Meinen Friedel! rief es in ihr. »Kannst du mich jetzt nach Hause bringen?Eine solch gute Idee von dir, mir das zu zeigen.« – »Sag es mit Blumen«, parodierte Annette einen Werbespruch der Pflanzenhandlungen. »Wenn ich dich Sonntag nach Ohlsdorf abholen darf, hat Thyra deine Astern schon zu uns besorgt.« – »Ihr seid so nett. Und den Umschlag von Herrn Footh?« – »Hast du mit der Morgenpost.« –
    Anneliese Blüthe befolgte und billigte die Anordnung ihres Chefs durchaus, Privatbriefe mit ihren Umschlägen aufzubewahren. Nicht allein war sie Markensammlerin genug, um vor dem Begriff der Ganzsache heilige Achtung zu verspüren, sie hatte auch gelesen, was für merkwürdige Schicksalsfügungen durch solche Briefumschläge schon eingetreten waren. Sie hatte nur geschwankt, ob sie ihn dem Chef stillschweigend auf den Schreibtisch legen sollte, als er gegen drei danach anrief, oder ihm lieber das einmalige Schriftstück persönlich hineintragen und schließlich das erstere gewählt. Wollte sie ein unklar vorhandenes Ziel erreichen, so mußte sie ausweichen, sachlich bleiben.
    So fand denn Herr Footh um halb vier Teetjens Appell mit seinem Umschlag unter einem Briefbeschwerer liegen, den er als einziges Andenken aus dem Weltkrieg in sein neues Dasein mitgenommen hatte, eine Art römischen Schwertes, aus dem kupfernen Führungsring einer schweren Granate gehämmert, roh und ziemlich unvollkommen, da die Kerben voll erhalten waren, die die »Seele« des Rohrs beim Abschuß ins Metall gepreßt. »Albert Teetjen, Schlächtermeister.« Hatte seine Sache gut gemacht, der alte Junge, Herrn Footh und die ganze Innung nicht blamiert. Im Frack zwar linkisch ausgesehen, aber keineswegs linkisch zugeschlagen. Für die sieben Mark siebzig, die Herr Footh bis jetzt in ihn investiert, hatte er sich tüchtig geregt. Sein Training war den Proviantkammern der Tanker »Einäuglein« und »Rotauge« zugunsten gekommen, die Ausführung seines Amtes aber mußte beim Reichsstatthalter Eindruck gemacht haben. An Herrn Footh war es jetzt, die Gegendienste anzumelden, die man ihm dafür schuldete. Ihm, Footh, natürlich, nicht dem Teetjen. Es wurde zurzeit in Deutschland ungeheuer viel Geld verdient. Aktienpakete frisch geschaffen oder neuen Besitzern zugeschoben.Wirtschaftliche Machtmittel sammelten sich in Händen, die vor Adolf Hitlers Aufgang niemals von ähnlichem auch nur geträumt hätten. Der Parteiweizen blühte.
    Herr Footh stand von seinem Schreibtisch auf und trat, die Hände in den Taschen, an das große Fenster, von welchem er den weiten Ausblick über einen Hafenausschnitt genoß, in dem auch seine Schiffe daheim waren. Tuten, Brummen, Pfeifen, Hämmern; zurzeit lag keines von ihnen hier unten in dem schwarzblanken Gewässer, durch das die kleinen, grünen Dampfer den Fährdienst vermittelten. Er sah auch nicht viel von den Gebäuden, Piers, Tankanlagen, Pumpen. Er blickte in die grauen Wolken, die von der offenen See her antrieben, von der Nordsee, gut achtzig Kilometer weit im Nordwesten. Er sah in seine Zukunft,

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