Das Beil von Wandsbek
die benachbarte Schreibtischecke oder lehnte sich vielmehr an sie mit dem Oberschenkel, die Last des Körpers auf das andere, das Standbein, legend. »Glauben Sie, daß unser Betrieb Erweiterungen verträgt, oder sollte man ihn lieber mit einer größeren Gruppe fusionieren? Da stehe ich nämlich am Scheidewege.« – Ihre hellgrauen Augen wurden ganz schwarz, so weiteten sich ihre Pupillen, beinahe wäre sie vom Schreibtisch heruntergesprungen. »Herr Footh«, rief sie, »wer kann da mitreden. Dazu müßte man unsere Betriebsmittel übersehen, unseren Kredit, die geheimen Rücklagen; zwar«, überlegte sie laut, »die drei Thetisschiffe sollen zu haben sein. Vielleicht eine einmalige Chance.« – Er nickte wohlgefällig, nahm ihre Hände um die dünnen Gelenke, vereinigte sie in seiner Linken, streichelte mit der Rechten ihr Knie. »Sie haben recht«, sagte er mit belegter Stimme, »man müßte das durchsprechen. Hätten Sie Zeit, eine Tasse Tee bei mir zu trinken, Anneliese?« – »Wenn ich nach Haus telephonieren darf«, entgegnete sie, ohne sich zu rühren.
In der Tat, Käte Neumeier kriegte ihren Briefumschlag mit der Morgenpost. Sie hielt ihn in der Hand, ihre Fingerspitzen erkannten das Leinenpapier wieder, dessen Bogen sie in dicken Briefen an Karl August Lintze aufgebraucht hatte, indes mehrere Hüllen übrigblieben. Für Empfehlungen, Hilfsbedürftige hatte sie sie verwendet. An wen aber ging dieses hier? Man hätte die Gewohnheit haben sollen, in einem Büchlein zu notieren, wem man was gab. Viel zu large ging sie mit solchen Dingen um. Dabei hing alles davon ab, daß man sich solcher Kleinigkeiten erinnerte.Sie setzte sich in ihren Frühstücksstuhl, entspannte sich, schloß die Augen. Herauf mit euch, vergessene Kleinigkeiten. Allerlei Tagesreste zogen ihr durch den Sinn, die Chrysanthemen von gestern, die Astern, Lene Prestow. Ein sandiger Hügel auf dem Friedhof von Ohlsdorf, den sie noch nicht einmal gesehen. Dann fiel ihr Tom Barfey ein, der verkrüppelte Junge auf seinem Rollwägelchen, das er auf der Straße kaum noch benutzen durfte. Ja, das war’s. Der Geesche Barfey hatte sie die Wäsche bei Herrn Footh verschaffen wollen, ihr dafür dies Kuvert beschrieben, damit Annette an der Schrift einen Hinweis ablese, die kleine, tapfere Waschfrau zu beschäftigen. Sie atmete tief ein, blickte ins Zimmer, in die Zukunft. Der Weg dieses Todesboten ließ sich verfolgen.
Drittes Buch
Mit dem Strom
Erstes Kapitel
Brave Stine
Ein Mann, der Geld in der Tasche hat, geht ganz anders durch die Straßen seiner Vaterstadt als der gleiche Mann mit einem Buckel voll Schulden. Er leistet sich und seiner Frau eine Flasche Portwein, legt ihr nahe, endlich die braunen Halbschuhe zu kaufen, die jetzt im Preis ermäßigt worden, weil es auf den Winter zugeht, die schwarzen besohlen zu lassen und sich nicht zu wundern, daß er eine neue Kiste Zigarren heimbringt, Fehlfarben wiederum, aber Brasil, Stück für Stück zwei Pfennig teurer als die früheren Vorstenlanden. Sie hat einen Frackanzug reinigen müssen, bevor er ihn der Verleihanstalt zurückgab, aber das ist bei einem Schlächter kaum ein Wunder, und Blutspritzer lassen sich unschwer entfernen. Er hätte sich seiner Stine gern in diesem Staat gezeigt. Aber Herr Footh hat das verhindert; er ließ ihn von Hause abholen, bei sich in der Diele umkleiden, fuhr ihn nach Fuhlsbüttel und brachte ihn auf dem gleichen Wege wieder in seiner Uniform nach Hause. Ohne die Trainingstage hätte das Ganze nur ein paar Stunden Abwesenheit aus Alberts täglichem Leben bedeutet – eine Art Traum, nichts weiter; kein angenehmer Traum – nicht zu leugnen ... Aber zweitausend Mark als Lohn für die Stunde Morgenarbeit, das ließ sich sehen und hören, tasten und bewundern. Diese Hundertmarkscheine waren kein Hexengeld, sie verwandelten sich nicht in dürre Blätter, wenn man sie daheim in die Schublade des Vertikos schloß. Sie blieben schöne, bunte Banknoten aus der Zauberwerkstatt des Dr. Schacht – und damit basta.
Die Leute rund um Albert Teetjen merkten in den ersten Tagen nichts von der Veränderung, die sich mit seinen Lebensumständen vollzogen hatte. Er war klug genug, von ihrer Besserung kein Wesen zu machen. Er wußte: wenn ein Mann seine Schulden bezahlt, so spricht sich das herum, und gibt er dafür keineErklärungen, so mischt sich die Freude der Empfänger mit dem Staunen über die Gunst des Schicksals und erzeugt Respekt. Außerdem lag es Albert Teetjen nicht,
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