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Das Beil von Wandsbek

Das Beil von Wandsbek

Titel: Das Beil von Wandsbek Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arnold Zweig
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Hauptast hinabschlug, dem Fußboden zu, während der ehemalige Magnetiseur und Heilgehilfe ihn am Tuch seines Ärmels vorwärtsführte. Hilflos und ohne Willen war Albert vorwärtsgetappt wie vor Jahrzehnten als Kind beim Blindekuhspielen; er hatte seinen Übermut längst verwünscht, geglaubt, man werde seine Nervenkraft oder seine Muskeln prüfen, und sich gleichsam in den Boden hinein geschämt, daß er, Albert Teetjen, ein Rottenführer der SS., sich zu solchem Mumpitz hergab. Blaugraues Linoleum war der letzte Eindruck der sichtbaren Dinge an jenem Sonntagvormittag gewesen. Dann Dunkelheit und Ärger. Als die Rute zuckte, indem sie seine Fäuste mit herunterdrehte, war er geneigt gewesen, an Zufall zu glauben. Ermüdung oder Krampf. Aber der Mann neben ihm sagte mit seiner belegten Stimme: Eisen. Bald danach: Wasser, und dann nach längerer Pause: Gold, Doktor, sehen Sie? Und er löste Alberten die Augenbinde: zu seinen Füßen lag, geringelt wie eine Schlange, eine dicke, goldene Uhrkette, aus der amtlichen Juwelenankaufstelle zum Schätzungspreis erstanden. Daß ein Unbekanntes über seine, Alberts, Muskeln verfügte, setzte ihn in fassungsloses Staunen. Er trug also einen Magneten in sich, zweiundvierzig Jahre schon, der durch seinen ganzen Körper ausgebreitet war, verästelt mit seinen Sehnen und Nerven. »Nun haben wir ja das schlechte Wetter, wie Sie sehen«, hatte Dr. Laberdan gesagt, als sie zu dritt in seinem Arbeitszimmer saßen, und der Regen aus niedrigem, grauem Himmel unter fauchendem Geheul des Seewindes auf Scheiben und Fensterblech prasselte. »Schade, daß Sie so einen unbehaglichen Heimweghaben, Herr Teetjen.« (Irgend was Bekanntes ist an dem Mann, dachte er zwischendurch, weiß der Teufel, wo er mir mal auffiel.) »Eine so schöne Gabe wie die Ihre will freilich geübt werden. Sie haben sicherlich nicht gedacht, als Meister vom Himmel zu fallen. So etwas kommt nicht vor, auch wenn’s in den Geschichten steht. Lassen Sie sich doch zu Hause in Ihrer Wohnung, meine ich, metallene Gegenstände unter dünnen Geweben verstecken, und prüfen Sie Ihre Reaktionen auf die verschiedenen Stoffe. Im Laufe der Wochen werden sie immer ausgesprochener werden. Sie haben ein feines, ein seltenes Geschenk von der Natur empfangen, Herr Teetjen, bilden Sie es aus zum Wohle unseres Volkes, früher hätte man gesagt, zum Wohle der Menschheit.« Das war nun wieder der Vorstand gewesen, der zu einer gewissen Salbung neigte, wie es Albert schien. Aber er verabredete mit Dr. Laberdan eine Fortsetzung dieser Experimente, wenn er sich, wie er sagte, aus diesem jungen Hundestadium ein bißchen emportrainiert haben würde, und wollte auf keinen Fall die Wintermonate nutzlos verstreichen lassen, damit sie im Frühling, sobald das Wetter wieder menschlich würde, im Gelände, unter gleichsam natürlichen Bedingungen, üben und Alberts Gaben erproben könnten. Wenn einer schon auf eine Uhrkette oder auf ein Schälchen mit Wasser hin seine Handgelenke umgedreht fühlte, was würde sich erst einstellen, wenn unter seinen Füßen sich eine natürliche Wasserader oder ein Landtorpedo verborgen fand. Konnte ja schönes Theater geben, dachte er im Heimfahren stolz, Stine würde mancherlei zu staunen kriegen. Ihr Albert war nicht der erste beste. Gerade sie hatte das ja immer gesagt, oder es ihm mindestens zu verstehen gegeben; jetzt aber fühlte er sich selber auf gewisse Weise herausgehoben aus dem Durchschnitt. Er machte sich die nächsten Tage allerhand Gedanken über die Art, wie ein so merkwürdiger Vorgang, eine solche Gabe wohl zu erklären war, kam aber zu keinerlei Ergebnis. Er hatte eben zu wenig gelernt und viel zu wenig gelesen, in der Schule auch nicht richtig aufgepaßt, es war ja auch nicht sein Fach gewesen, gar nicht seine Art, hinter Büchern zu sitzen. Nach seiner Verheiratung hatte das die Stine besorgt und vorher eben niemand. Da kannst nix machen. Es gab Menschen, die auf den Viehhofgehörten und in die Schlächterei und andere für Bücherstuben und Leselampe. Tom Barfey beispielsweise war für das letztere geboren. Wenn Albert seiner Gabe sicher war, würde er dem Jungen mal ein paar Proben vorführen und ihn dann fragen, woran das eigentlich liege. In dem Vortrag von Dr. Laberdan war von Erdmagnetismus die Rede gewesen, so als ob da jeder wüßte, was das heiße. Albert aber wußte es nicht. Daß Eisen magnetisch war und daß es irgendwo im Ozean einen Magnetberg gab, dem die Schiffe angstvoll auswichen,

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