Das Beil von Wandsbek
uns das Öl aus Baku selber holen können?« – »Ist doch alles Quatsch«, schimpfte Frau Lehmke, »brauchen die Russen doch alles selber, haben doch hundertfünfzig Millionen Menschen zu versorgen oder noch mehr.«
»Wenn aber der Parteitag dem Adolf zujubelt, wie er das verkündet? Wo wir doch versäumt haben, uns das im vorigen Krieg abtreten zu lassen, wo wir doch Brest Litowsk schafften und Max Hoffmann mit der Faust auf den Tisch kloppte. Hätt’st du Appetit auf einen zweiten Weltkrieg, Alte?« fragte er plötzlich, die Stimme senkend. »Nicht ganz bei Troste?« fragte sie scharf zurück. – »Weil nämlich Alberts Rutengängerei auch nicht bloßer Sport sein soll. Minen suchen, zur See wie zu Lande, soll ein Reichswehronkel schon beim ersten Vortrag ausgeplaudert haben.«
»Na, denn man tau«, sagte Frau Lehmke und schwenkte die gestopfte Socke ihres Gatten durch die Luft. »Das Blaue hier soll dir klarmachen, Lehmke, daß man seiner Frau Arbeit spart und dem Staate Strickwolle, wenn man es erst gar nicht so weit kommen läßt wie du hier. Sparsamkeit und Nächstenliebe treffen allemal zusammen.« – »Tja«, sagte Herr Lehmke und zog ein zerknirschtes Gesicht, »darum verschmelzen sie ja auch schon Betriebe, wo früher Konkurrenz die Seele vons Buttergeschäft hieß. Scheint, daß die Thetisreederei durch Alberts Freund, Herrn Footh, arisiert werden soll. Muß doch mal, wenn Redakteur Vierkant heute abend hier sein sollte, nach dem Bissen forschen. Wenn das dem Footh was bringt, läßt er vielleicht Alberten auch was abhaben.«
»Wieder was abhaben«, meinte Frau Lehmke. »Das mit der Erbschaft aus Helgoland glaubt doch höchstens ein Schäfchen wie Stine. Aber Zaster liegt jetzt bei Teetjens, Fernanruf mit Voranmeldung aus Berlin, da gibt’s nichts zu tippen. Braune Schuhe«, sagte Frau Lehmke, »im Oktober.«
»Sollen ja diesmal am neunten November den Führer hier haben«, las Herr Lehmke aus der Zeitung vor, unbeteiligt das gedruckte Blatt ins Licht haltend. »Hamburg muß entschädigt werden dafür, daß der Duce für uns keine Zeit hatte. Adolf Hitler spricht in Finkenwärder zur Arbeiterschaft, beim Bau der neuen Elbhochbrücke. Fliegt dann, hast du nicht gesehen, nach München und feiert den Jahrestag, wie sich’s gehört. Jahrzeit, würden es die Juden nennen. Du weißt doch noch, wie Samuels ihr Lichtchen ansteckten, das in einem Korkschwimmer auf Öl schwamm.«
»Weil sie zwei Söhne im Krieg verloren hatten. Dafür sitzt er ja nach wie vor in seiner Kartonnagenfabrik und fabriziert Bierdeckel.« – »Zwei ist ja auch ein bißchen happig fürs Vaterland. Was übrigens das Dritte Reich ohne Flugzeuge ausrichten sollte, das weiß der Himmel. Wilhelm hieß ja der Reisekaiser, weil er bald hier, bald da war und ne Rede vom Stapel ließ. Aber verglichen mit den Rettern aus der Weimarer Schmach, war das ja bloß Murks. Rede in Hamburg, Rede in München ...« – »Bade zu Hause«, ergänzte Frau Lehmke bissig, indem sie einen Werbespruch an Lehmkes Feststellungen hängte, der in ihrer Jugendzeit Mode geworden war und »Wasche mit Luhns, denn viele tuns«, fügte sie hinzu, die beiden Socken zum Knäuel einrollend, es war dies aber ein Reklamewort, das vor 1914 die Autobusse in großen Lettern durch Hamburg spazieren gefahren hatten.
Ja, Dr. Laberdan hatte Albert Teetjen anläßlich seines zweiten Vortrages nicht nur zur Prüfung angenommen. Der Mann mit den hellen, verschwimmenden Augen war ihm gleich begabt erschienen, noch am selben Abend hatte er sich aber bei näherer Begutachtung auch durch den Vorsitzenden des Reichsverbandes, nicht nur der Ortsgruppe Hamburg, als hervorragendes Material zum Rutengänger herausgestellt. Man prüfte das, indem man ihn in einem Korridor des Fuhlsbütteler Krankenhauses, der mitLinoleum ausgelegt, also einigermaßen abgedichtet war, die Augen verbunden, an verschiedenen Metallgegenständen vorüberführte, die gegabelte Rute mit nach außen gebogenen Enden und vorwärts weisendem Stiel in den festgeschlossenen Fäusten, die Handrücken nach unten gekehrt. (Über die Art zum Rutengehen anzutreten, gab es bereits Parteiungen und Streitfragen, die sich alle auf die Haltung der Unterarme bezogen.) Erstaunlich nun, besonders für Albert, blieb die Tatsache, daß zu mehreren Malen die Rute in seinen Händen selbständig wurde. Unabhängig von seinem Willen, zu seiner Bestürzung nahezu und seinem freudigen Entzücken, fühlte er, wie ihr vorwärtsweisender
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