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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Der Wachmann ließ hinter ihr erleichtert die Luft aus den Backen.
    Der Mönch versuchte einige Male, mit der Besucherin ins Gespräch zu kommen, dann gab er auf und führte sie schweigend zu den Gemächern des Vorsitzenden im Turm.
    Pater MacPhail verrichtete gerade seine Andacht, und die Hand des armen Bruder Louis zitterte heftig, als er anklopfte. Von drinnen ertönte ein Seufzen und Ächzen, dann näherten sich schwere Schritte.
    Die Augen des Vorsitzenden blitzten auf, als er sah, wer vor der Tür stand, und er lächelte wölfisch.
    »Mrs. Coulter«, rief er und streckte ihr die Hand entgegen. »Ich freue mich, Sie zu sehen. In meinem Arbeitszimmer ist es kalt, und wir können unseren Gästen leider nur wenig Annehmlichkeiten bieten, aber bitte sehr, treten Sie doch ein.«
    »Guten Abend«, erwiderte Mrs. Coulter.
    Sie folgte ihm in das nüchterne Zimmer mit den nackten Steinwänden und ließ zu, dass er ihr umständlich einen Sessel zurechtrückte.
    »Danke«, sagte sie zu Bruder Louis, der zögernd an der Tür stehen geblieben war. »Ich nehme ein Glas Chokolatl.«
    Man hatte ihr nichts angeboten, und sie wusste, dass es Bruder Louis zutiefst kränken musste, wenn sie ihn wie einen Diener behandelte, aber er benahm sich so unterwürfig, dass er es nicht anders verdient hatte. Der Vorsitzende nickte, und Bruder Louis musste zu seinem Ärger gehen und sich um das Getränk kümmern.
    »Sie stehen natürlich unter Arrest«, sagte Pater MacPhail zu Mrs. Coulter. Er setzte sich in den anderen Sessel und stellte die Lampe heller.
    »Warum unser Gespräch verderben, noch bevor es richtig angefangen hat?«, erwiderte Mrs. Coulter. »Ich bin freiwillig gekommen, sobald ich aus Asriels Festung fliehen konnte. Ich weiß eine Menge über seine Streitkräfte und das Kind, Pater, und ich bin hier, um es Euch mitzuteilen.«
    »Dann fangen Sie bitte mit dem Kind an.«
    »Meine Tochter ist jetzt zwölf. Bald wird sie eine junge Frau sein, und dann kann keiner von uns mehr die Katastrophe verhindern. Natur und Gelegenheit werden zueinanderfinden wie Funke und Zunder, und dass es so kommt, ist dank Eures Eingreifens noch viel wahrscheinlicher geworden. Herzlichen Glückwunsch.«
    »Ihre Pflicht, Mrs. Coulter, bestand darin, das Mädchen hierher zu bringen und unserer Fürsorge anzuvertrauen. Stattdessen haben Sie sich in eine Höhle im Gebirge verkrochen - obwohl mir ein Rätsel ist, wie eine Frau von Ihrer Intelligenz hoffen konnte, dort unentdeckt zu bleiben.«
    »Wahrscheinlich ist Euch noch so manches ein Rätsel, Exzellenz, angefangen bei der Beziehung einer Mutter zu ihrem Kind. Wenn Ihr auch nur für einen Augenblick geglaubt habt, ich könnte meine Tochter der Fürsorge - der Fürsorge! - einer Gesellschaft von lauter Männern anvertrauen, die von ihrer Sexualität geradezu besessen sind, Männern mit dreckigen Fingernägeln, die nach dem Muff von Jahrhunderten stinken, Männern, die ihre schmutzigen Gedanken über den Körper meiner Tochter kriechen lassen würden wie Kakerlaken - wenn Ihr wirklich geglaubt habt, ich würde meine Tochter solchen Leuten anvertrauen, Exzellenz, seid Ihr dümmer, als ich es Eurer Meinung nach bin.«
    Noch bevor der Vorsitzende ihr antworten konnte, klopfte es und Bruder Louis trat mit einem hölzernen Tablett ein, auf dem zwei Gläser standen. Er stellte das Tablett auf den Tisch, verbeugte sich rasch und lächelte den Vorsitzenden in der Hoffnung an bleiben zu dürfen. Doch MacPhail nickte zur Tür. Widerstrebend verzog sich der junge Mann.
    »Was wollten Sie denn dann in der Höhle?«, fragte der Vorsitzende.
    »Meine Tochter beschützen, bis die Gefahr vorüber war.«
    »Was für eine Gefahr denn?« Er reichte ihr ein Glas.
    »Ich glaube, Ihr wisst sehr wohl, was ich meine. Irgendwo treibt sich ein Versucher herum, eine Schlange, bildlich gesprochen, und ich musste verhindern, dass die beiden einander begegneten.«
    »Bei dem Mädchen befindet sich ein Junge.«
    »Richtig, aber wenn Ihr Euch nicht eingemischt hättet, hätte ich die beiden jetzt in meiner Gewalt. Aber so können sie jetzt überall stecken. Bei Lord Asriel sind sie jedenfalls nicht.«
    »Er lässt sie sicher suchen. Der Junge besitzt ein Messer mit außergewöhnlichen Fähigkeiten. Alle in schon deshalb lohnt sich die Suche.«
    Mrs. Coulter nickte. »Ich weiß. Es ist mir zwar gelungen, die Klinge zu zerbrechen, aber der Junge konnte sie reparieren.«
    Sie lächelte. Sie billigte doch wohl nicht, was dieser Junge

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