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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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hinausspazieren könnten? Wir haben unseren Stolz, auf den wir nicht einfach verzichten. Was wir wollen, ist ein ehrenvoller Platz, eine Pflicht und eine Aufgabe, die uns den Respekt verschafft, den wir verdienen!«
    Die Harpyien bewegten sich murrend auf den Ästen hin und her und schlugen mit den Flügeln. Doch nun schaltete sich Salmakia ein.
    »Ihr habt ganz Recht«, begann sie. »Jeder sollte seine Aufgabe haben, die ihm Ehre einbringt und auf die er stolz sein kann. Es gibt eine solche Aufgabe für euch und ihr allein könnt sie ausführen, denn ihr seid die Hüter dieses Landes. Eure Aufgabe besteht darin, die Geister von der Anlegestelle am See durch das Land der Toten bis zum neu zu schaffenden Ausgang in die Welt zu geleiten. Als Entgelt dafür müssen die Toten euch ihre Geschichte erzählen. Erscheint euch das gerecht?«
    Die Harpyie Niemand schaute zu ihren Schwestern hinüber und diese nickten.
    Darin sagte sie:
    »Und wir müssen das Recht haben, das Geleit zu verweigern, wenn Geister lügen oder Wichtiges verschweigen oder uns überhaupt nichts zu erzählen haben. Solange sie in der Welt leben, sollen sie sehen, fühlen, hören und Dinge lieben und verstehen lernen. Wir machen nur für Kleinkinder eine Ausnahme, denen die Zeit zum Lernen fehlte, doch alle anderen, die herabkommen und nichts zu erzählen haben, führen wir nicht wieder hinaus.«
    »Das ist nur recht und billig«, pflichtete Salmakia bei, und auch die anderen Reisenden waren einverstanden.
    Daraufhin schlossen beide Seiten einen Vertrag. Als Gegenleistung für Lyras Geschichte, die sie bereits gehört hatten, boten die Harpyien den Reisenden an, sie in eine Gegend des Totenreichs zu bringen, wo die obere Welt unmittelbar anstieß. Der Weg dorthin sei weit und führe durch unterirdische Gänge und Gewölbe, doch die Harpyien versprachen, ihnen treue Führer zu sein. Und alle Geister dürften sich ihnen anschließen.
    Doch ehe sie losmarschieren konnten, ertönte eine Stimme so laut, wie dies einer Flüsterstimme nur möglich war. Der Geist eines dünnen Mannes mit zornigem, leidenschaftlichem Gesicht meldete sich zu Wort:
    »Was glaubt ihr wohl, was geschehen wird? Werden wir, wenn wir die Welt der Toten verlassen haben, wieder weiterleben? Oder werden wir verschwinden wie unsere Dæmonen? Brüder und Schwestern, wir sollten diesem Kind nicht folgen, solange wir nicht wissen, was mit uns geschehen wird!«
    Andere schlossen sich seinen Bedenken an. »Ja, sag uns, wohin wir gehen. Sag uns, was uns erwartet! Wir brechen erst auf, wenn wir Genaueres wissen.«
    Lyra wandte sich verzweifelt an Will, doch der riet ihr nur: »Sag ihnen die Wahrheit. Befrage zuerst das Alethiometer und teile ihnen dann mit, was es gesagt hat.«
    »Also gut«, sagte Lyra.
    Sie stellte das golden glänzende Instrument vor sich hin, und die Antwort ließ nicht auf sich warten. Lyra räumte es wieder beiseite und erhob sich.
    »Ich sage euch, was geschehen wird«, verkündete sie, »und was ich zu sagen habe, ist die reine Wahrheit. Wenn ihr dieses Land verlasst, werden sich die Verbindungen, aus denen ihr besteht, auflösen und alle Teilchen verströmen, wie dies schon mit euren Dæmonen geschehen ist. Wer schon einmal Menschen hat sterben sehen, der weiß, wie das aussieht. Doch eure Dæmonen sind nicht einfach zu nichts geworden. Vielmehr sind sie Teil von allem. Alle Atome, aus denen sie bestanden haben, sind in Luft und Wind, in Bäumen und im Erdboden, ja in alles Lebendige eingegangen. Sie werden nie mals völlig verschwinden, denn sie sind Teil von allem. Und genauso wird es auch euch ergehen. Ihr werdet verströmen, doch zugleich seid ihr dann zurück in der Welt und werdet wieder Teil alles Lebendigen.«
    Alle Geister schwiegen. Diejenigen, die gesehen hatten, wie sich ihr Dæmon auflöste, erinnerten sich, und die anderen versuchten es sich vorzustellen. Keiner sprach, bis eine junge Frau vortrat. Sie war vor vielen Jahrhunderten als Märtyrerin gestorben, schaute in die Runde und sprach:
    »Als wir noch am Leben waren, sagte man uns, dass wir nach dem Tod in den Himmel kämen. Den Himmel schilderte man uns als einen Ort der Freude und Herrlichkeit, wo wir in der Gemeinschaft der Engel und Heiligen den Allmächtigen in alle Ewigkeit schauen und anbeten würden. So erzählte man es uns. Und das führte einige dazu, ihr Leben hinzugeben, und andere, lange Jahre in einsamem Gebet zu verbringen, während die Freuden des irdischen Lebens dahin flossen, ohne

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