Das Bernstein-Teleskop
Streben des vom Wind gebeutelten Luftschiffes.
Dann spürte er an den ruhigeren Bewegungen, dass das Luftschiff festmachte. Er kehrte zu den Sitzen auf der Steuerbordseite zurück. Mitglieder der Besatzung, Techniker und Priester eilten in beiden Richtungen an ihm vorbei. Viele von ihnen hatten als Dæmonen Hunde, die es vor Neugier kaum noch aushielten. Auf der anderen Seite des Mittelgangs saß wach und stumm Mrs. Coulter, auf dem Schoß den goldenen Dæmon, dessen böse funkelnden Augen nichts entging.
Sobald sich eine Gelegenheit ergab, huschte Lord Roke zu Mrs. Coulters Platz. Im nächsten Augenblick saß er auf ihrer Schulter.
»Was ist los?«, murmelte sie.
»Wir landen in der Nähe des Kraftwerks.«
»Bleiben Sie bei mir oder arbeiten Sie auf eigene Faust?«
»Ich bleibe bei Ihnen und werde mich in Ihrem Mantel verstecken.«
Mrs. Coulter trug einen schweren, mit Schaffell gefütterten Mantel. Er war in der geheizten Gondel unangenehm warm, doch konnte sie ihn nicht ausziehen, da ihre Hände mit Handschellen gefesselt waren. Verstohlen blickte sie sich um. »Schlüpfen Sie rein, jetzt«, flüsterte sie und Lord Roke verschwand im Ausschnitt des Mantels. Drinnen fand er eine mit Fell gefütterte Tasche vor, in der er sitzen konnte. Der goldene Affe steckte noch fürsorglich Mrs. Coulters seidenen Kragen hinein, damit Lord Roke auch wirklich nicht zu sehen war. Er wirkte dabei wie ein beflissener Modedesigner, der sein bestes Model für die Präsentation herrichtet.
Kaum war er fertig, erschien ein mit einem Gewehr bewaffneter Soldat und befahl Mrs. Coulter, das Luftschiff zu verlassen.
»Muss ich die Handschellen anbehalten?«, fragte sie.
»Ich habe keinen Befehl, sie abzunehmen«, erwiderte der Soldat. »Stehen Sie bitte auf.«
»Aber wie kann ich gehen, wenn ich mich nirgends festhalten kann? Ich sitze schon den ganzen Tag, ohne mich zu bewegen, und bin ganz steif, und Sie haben mich doch nach Waffen durchsucht und wissen, dass ich keine trage. Fragen Sie bitte den Vorsitzenden, ob die Handschellen wirklich nötig sind. Wohin sollte ich denn in dieser Wildnis fliehen?«
Lord Roke war für ihren Charme unzugänglich, doch beobachtete er interessiert dessen Wirkung auf andere. Der Soldat war noch jung. Man hätte einen abgebrühten Veteranen schicken sollen.
»Ich glaube Ihnen ja, gnädige Frau«, sagte der Bewaffnete, »aber ich kann nicht etwas tun, wozu ich nicht ermächtigt bin, das müssen Sie doch verstehen. Bitte stehen Sie auf, gnädige Frau. Wenn Sie stolpern, halte ich Sie am Arm fest.«
Mrs. Coulter stand auf, und Lord Roke spürte, wie sie einige ungeschickte Schritte machte. Doch die Schwerfälligkeit musste vorgetäuscht sein. Der Gallivespier kannte niemand, der sich so anmutig bewegte wie Mrs. Coulter. Am oberen Ende der Gangway angelangt, spürte er, wie Mrs. Coulter stolperte. Sie schrie erschrocken, dann fing der Arm der Wache sie mit einem Ruck auf. Lord Roke bemerkte, wie die Geräusche sich um sie veränderten. Er hörte das Heulen des Windes, das stete Brummen der Motoren, die Strom für die Scheinwerfer erzeugten, und Stimmen, die irgendwo in der Nähe Anweisungen erteilten.
Schwer auf den Soldaten gestützt, stieg Mrs. Coulter die Gangway hinunter. Sie sagte leise etwas, und Lord Roke lauschte angestrengt, um die Antwort des Mannes zu verstehen.
»Der Sergeant, gnädige Frau? Da drüben neben der großen Kiste - er hat die Schlüssel. Aber ich darf ihn jetzt nicht stören, tut mir Leid.«
»Na gut«, erwiderte sie mit einem bedauernden Seufzer. »Trotzdem danke.«
Lord Roke hörte, wie sich Stiefelschritte über die Steine entfernten, dann flüsterte Mrs. Coulter: »Haben Sie gehört, wo die Schlüssel sind?« »Sagen Sie mir, wo der Sergeant steht. Ich muss genau wissen, in welcher Richtung und wie weit weg.«
»Ungefähr zehn Schritte rechts von mir. Ein Hüne. An seiner Hüfte hängt ein Schlüsselbund.«
»Das nützt mir nichts, solange ich nicht weiß, welcher Schlüssel der richtige ist. Haben Sie ihn beim Zuschließen der Handschellen gesehen?«
»Ja. Er ist kurz und dick und mit schwarzem Klebeband umwickelt.«
Lord Roke hangelte sich am Fell des Mantels bis zum Saum auf Kniehöhe hinunter. Die Hände in das Fell gegraben, schaute er sich um.
Man hatte ein Flutlicht aufgestellt, das die nassen Felsen in grellen Schein tauchte. Noch während er sich unter den Schatten der Umgebung zu orientieren versuchte, begann der Scheinwerfer in einem Windstoß zu
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