Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
Vom Netzwerk:
jetzt egal«, brüllte der Vorsitzende. »Finde den Komplizen und töte ihn. Er muss irgendwo in der Nähe sein. Und suche auch die Frau. Geh!«
    Die Hexe sprang wie der in die Luft.
    Der Affe fasste Mrs. Coulter aufgeregt an der Hand und zeigte auf etwas.
    Und da lag Lord Roke, ausgestreckt auf einem Moospolster und von allen Seiten deutlich zu sehen. Warum hatten die Soldaten ihn noch nicht entdeckt? Der Spion musste einen Unfall gehabt haben, denn er bewegte sich nicht.
    »Hol ihn her«, befahl Mrs. Coulter, und der Affe sprang geduckt über die Steine hangabwärts. Sein goldenes Fell war bald vom Regen dunkel und klebte ihm am Körper. Er wirkte dadurch kleiner und unscheinbarer, war aber trotzdem noch weithin zu sehen.
    Pater MacPhail hatte sich inzwischen wieder der Bombe zugewandt. Die Ingenieure vom Kraftwerk hatten das Kabel bis zur Bombe ausgerollt, und Techniker waren damit beschäftigt, Klemmen festzuziehen und das Kabel zum Anschluss an den Zünder vorzubereiten. Mrs. Coulter überlegte fieberhaft, was Pater MacPhail jetzt, da sein Opfer entkommen war, zu tun gedachte. Der Vorsitzende drehte sich um, und sie erblickte sein Gesicht. Es war starr und angespannt wie eine Maske. Seine Lippen bewegten sich im Gebet und die Augen waren weit geöffnet und nach oben in den strömenden Regen gerichtet. MacPhail sah aus wie ein Heiliger auf einem düsteren spanischen Gemälde, wie ein allen irdischen Belangen entrückter Märtyrer in der Stunde seines Todes. Und da wusste Mrs. Coulter auf einmal, was er vorhatte, und ihr wurde heiß vor Angst. Pater MacPhail wollte sich selbst opfern. Die Bombe würde explodieren, egal ob mit Mrs. Coulter oder ohne sie. Der goldene Affe setzte über die letzten Steine, dann erreichte er Lord Roke.
    »Ich habe mir das linke Bein gebrochen«, erklärte der Gallivespier ruhig. »Der letzte Soldat, den ich betäubte, trat mit dem Fuß darauf. Hör mir genau zu -«
    Er beschrieb dem Affen, wo sich die Schwingungskammer befand und wie man sie öffnete, während dieser mit seiner kleinen Last von Schatten zu Schatten huschte und den Spion praktisch unter den Augen der Soldaten aus dem Schein der Lichter trug.
    Ungeduldig sah Mrs. Coulter ihm entgegen. Dann hörte sie ein Sausen und spürte neben sich einen heftigen Schlag. In der Kiefer steckte zitternd und weniger als eine Handbreit von ihrem linken Arm entfernt ein Pfeil. Sofort, noch bevor die Hexe einen zweiten Pfeil abschießen konnte, sprang Mrs. Coulter auf und stolperte den Berg hinunter, auf den Affen zu.
    Dann passierte alles auf einmal. Eine Gewehrsalve knatterte, und eine beißende Rauchwolke wälzte sich über den Hang, ohne dass Flammen zu sehen gewesen wären. Der goldene Affe hatte de n Angriff der Hexe mitbekommen. Sofort setzte er Lord Roke ab und eilte Mrs. Coulter zu Hilfe. Im selben Moment fuhr die Hexe mit gezücktem Messer vom Himmel herab. Lord Roke kroch in den Schutz eines Felsens, Mrs. Coulter rang erbittert mit der Hexe. Der goldene Affe begann, die Nadeln aus dem Wolkenkiefernzweig der Hexe zu reißen.
    Pater MacPhail schob unterdessen seinen Eidechsen-Dæmon in den kleineren der beiden Silberdrahtkäfige. Der Dæmon hielt sich verzweifelt an seiner Hand fest und schrie, trat und biss, aber Pater MacPhail riss sich los und warf schnell die Tür zu. Die Techniker trafen letzte Vorbereitungen und überprüften noch einmal alle Messgeräte.
    Aus dem Nichts stürzte mit einem heiseren Schrei eine Seemöwe vom Himmel, der Dæmon der Hexe, und schlug ihre Krallen in den Gallivespier. Lord Roke wehrte sich verzweifelt, doch der Vogel hielt ihn unerbittlich fest. Die Hexe riss sich von Mrs. Coulter los, packte den gerupften Kiefernzweig und schwang sich zu ihrem Dæmon in die Luft.
    Mrs. Coulter rannte auf die Bombe zu. Der Rauch biss ihr scharf in Nase und Rachen. Tränengas? Die meisten Soldaten waren zu Boden gegangen oder stolperten keuchend fort. Woher kam das Gas überhaupt? Dann blies der Wind es auseinander und die Männer kehrten zurück. Über der Bombe wölbte sich riesig der gerippte Bauch des Zeppelins. Unruhig zerrte das Luftschiff an den Ankertauen, und über seine silbernen Flanken lief in Bächen das Wasser.
    Ein Schrei von ganz weit oben gellte Mrs. Coulter in den Ohren, so schrill und entsetzlich, dass sogar der goldene Affe sich angstvoll an die Frau klammerte. Im nächsten Augenblick fiel die Hexe in einem Wirbel weißer Gliedmaßen, schwarzer Seide und grüner Nadeln Pater MacPhail direkt vor

Weitere Kostenlose Bücher