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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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schwanken. Der Spion hörte einen Schrei, dann wurde es schlagartig dunkel. Sofort ließ er sich auf den Boden fallen und rannte durch den Regen auf den Sergeant zu, der seinerseits zu dem fallenden Scheinwerfer eilte, um ihn aufzufangen.
    Allgemeine Verwirrung brach aus. Lord Roke stürzte sich auf das Bein des Mannes, bekam den schweren, mit Regen vollgesogenen Stoff der Uniformhose zu fassen und rammte seinen Sporn dicht oberhalb des Stiefels in die Wade. Der Sergeant stöhnte dumpf auf und taumelte. Er griff nach seinem Bein, rang mühsam nach Luft und versuchte zu schreien. Lord Roke ließ ihn los und brachte sich mit einem Satz vor dem fallenden Körper in Sicherheit.
    Niemand hatte sie bemerkt. Der Lärm des Windes, des Hagels und der Motoren übertönte den matten Schrei des Mannes, und im Dunkeln sah ihn niemand fallen. Allerdings wimmelte es hier von Menschen, und Lord Roke musste sich beeilen. Er sprang auf die Seite des Mannes, wo in einer eisigen Wasserpfütze der Schlüsselbund lag, und wuchtete die stählernen Schäfte, von denen jeder so dick wie sein Arm und so lang wie er selbst war, einen nach dem anderen in die Höhe, bis er den mit dem schwarzen Klebeband gefunden hatte. Dann musste er noch den Verschluss des Schlüsselrings aufstemmen und dabei ständig den Hagelkörnern ausweichen, die so groß wie seine beiden Fäuste zusammen herniederprasselten, für einen Gallivespier eine tödliche Gefahr.
    »Sind Sie verletzt, Sergeant?«, rief eine Stimme über ihm. Der Hunde-Dæmon des Soldaten knurrte und leckte den Dæmon des Sergeants, der in eine Art Lähmung verfallen war. Lord Roke durfte keine Zeit verlieren. Ein Sprung und ein Stich und der Soldat fiel neben dem Sergeant auf den Boden.
    Mit Ziehen, Zerren und Stemmen konnte Lord Roke schließlich den Schlüsselring öffnen. Dann musste er noch sechs Schlüssel aus dem Weg heben, bis endlich der mit dem schwarzen Band frei war. Jeden Augenblick konnte der Scheinwerfer wieder angehen, und selbst im Halbdunkel mussten die beiden bewusstlos daliegenden Männer auffallen
    In dem Augenblick, in dem er den schwarzen Schlüssel abzog, ertönte ein Aufschrei. Mit aller Kraft zog, schob und hievte er den Schlüssel aus der Pfütze und kroch damit hinter einen kleinen Felsen. Er hörte Schritte herbeieilen und Stimmen nach Licht rufen.
    »Erschossen?«
    »War doch nichts zu hören -«
    »Atmen die beiden noch?«
    Das Flutlicht flammte wieder auf. Lord Roke stand mitten in seinem Kegel, zur Salzsäule erstarrt wie ein Fuchs im Scheinwerferlicht eines Autos. Nur seine Augen bewegten sich nach links und nach rechts, und sobald er sich sicher sein konnte, dass die allgemeine Aufmerksamkeit den beiden auf so mysteriöse Weise gestürzten Männern galt, lud er den Schlüssel auf die Schulter und rannte um Pfützen und Steine herum zu Mrs. Coulter.
    Im Handumdrehen hatte sie die Handschellen aufgeschlossen und geräuschlos abgelegt. Lord Roke sprang zum Saum ihres Mantels hinauf und kletterte auf ihre Schulter.
    »Wo ist die Bombe?«, sagte er in ihr Ohr.
    »Sie wurde soeben ausgeladen und befindet sich in der großen Kiste dort drüben. Ich muss warten, bis sie ausgepackt ist, und selbst dann -«
    »Gut«, unterbrach der Gallivespier Mrs. Coulter. »Rennen Sie los und verstecken Sie sich. Ich bleibe hier und passe auf. Ab mit Ihnen!« Er sprang auf ihren Ärmel hinunter und verschwand in der Nacht. Mrs. Coulter begann sich lautlos aus dem Licht des Scheinwerfers zu entfernen, langsam zuerst, um die Wache nicht auf sich aufmerksam zu machen, dann immer schneller. Zuletzt rannte sie geduckt bergauf und hinter dem goldenen Affen her, der sie dirigierte.
    Hinter sich hörte sie das unausgesetzte Dröhnen der Motoren, verwirrte Rufe und dann die mächtige Stimme des Vorsitzenden, der versuchte, für Ordnung zu sorgen. Die schrecklichen Schmerzen und albtraumhaften Halluzinationen fielen ihr wieder ein, die der Sporn von Chevalier Tialys bei ihr verursacht hatte. Die beiden Männer waren nicht zu beneiden, wenn sie aus der Bewusstlosigkeit erwachten.
    Immer höher stieg Mrs. Coulter über das nasse Gestein hinauf. Hinter sich sah sie nur noch den schwankenden Schein des Flutlichts, der von dem großen, runden Bauch des Zeppelins zurückgeworfen wurde. Dann ging das Licht wieder aus, und man hörte nur noch das Motorengedröhn, das sich vergeblich gegen den Wind und das Donnern der Wassermassen weiter unten zu behaupten versuchte.
    Die Ingenieure des hydro-anbarischen

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