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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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die Füße. Knackend zerbrachen ihre Knochen auf den Steinen.
    Mrs. Coulter eilte zu ihr. Sie wollte wissen, ob Lord Roke den Sturz überlebt hatte. Doch der Gallivespier war tot. Den rechten Sporn hatte er tief in den Hals der Hexe gebohrt.
    Die Hexe selbst lag im Sterben. Ihre Lippen zitterten. »Da kommt etwas - etwas anderes - kommt -«
    Die Worte ergaben keinen Sinn. Pater MacPhail stieg über ihre Leiche, um in den größeren der beiden Käfige zu gelangen. In dem kleinen Käfig rannte sein Dæmon die Wände hinauf und hinunter und flehte um Gnade. Hilflos kratzten seine kleinen Krallen über den silbernen Maschendraht.
    Der goldene Affe stürzte sich auf MacPhail, doch nicht, um ihn zu beißen. Er kletterte an ihm hoch und sprang über seine Schultern zur Schwingungskammer hinauf, dem Herz der Bombe, in dem alle Drähte und Leitungen zusammenliefen. Der Vorsitzende wollte ihn festhalten, doch Mrs. Coulter packte seinen Arm und bog ihn nach hinten. Richtig sehen konnte sie allerdings nichts. Ihre Augen waren vom Regen blind und noch vom Tränengas gereizt.
    Überall knatterten jetzt Gewehre. Was geschah?
    Die Scheinwerfer schwankten im Wind und nichts schien auf seinem Platz zu bleiben, nicht einmal die schwarzen Felsen des Berges. Der Vorsitzende und Mrs. Coulter gingen mit den Händen aufeinander los und kratzten, schlugen und bissen sich. Mrs. Coulter war müde und Pater MacPhail war stark. Doch die Verzweiflung verlieh Mrs. Coulter neue Kraft, und vielleicht hätte sie ihn festhalten können, wenn sie ganz bei der Sache gewesen wäre. Doch ein Teil von ihr beobachtete, wie ihr Dæmon mit verschiedenen Griffen hantierte, wie seine schwarzen Pfoten energisch Hebel hierhin und dorthin drückten und an ihnen zogen und drehten, wie sie hineingriffen
    Ein Schlag traf sie an der Schläfe. Benommen ging sie zu Boden. Der Vorsitzende riss sich los, kletterte blutend in den Käfig und zog die Tür hinter sich zu. Mit der Kraft der Verzweiflung richtete Mrs. Coulter sich gleich wieder auf, damit ihr Dæmon weiterarbeiten konnte.
    Der Affe öffnete jetzt die Kammer, eine gläserne Tür auf schweren Angeln, und griff hinein - und da lag die Locke, eingespannt in eine gummigepolsterte Metallklammer! Auch die Klammer musste noch geöffnet werden. Mit zitternden Händen rüttelte Mrs. Coulter an dein Maschendraht, sah zu der Klinge hinauf, zu den Funken sprühenden Anschlussklemmen, zu dem Mann im Innern des Käfigs. Der Affe schraubte die Klammer auf, und der Vorsitzende, das Gesicht zu einer Maske grimmigen Triumphes erstarrt, flocht hastig Drähte zusammen.
    Ein grellweißer Blitz flammte auf, ein peitschender Knall ertönte, und der Affe wurde in die Luft geschleudert. Mit ihm flog ein kleines goldenes Etwas. Lyras Haare? Seine eigenen? Der Wind blies sie jedenfalls sofort in die Nacht. Mrs. Coulter hatte sich mit der rechten Hand so fest in den Maschendraht verkrallt, dass sie halb lag, halb hing. Ihr Kopf dröhnte und ihr Herz raste.
    Mit ihren Augen war eine Veränderung vorgegangen. Sie sah auf einmal alles mit einer schrecklichen Klarheit, erkannte die winzigsten Details und blickte unverwandt auf den einen Gegenstand, der jetzt überhaupt noch zählte: jenes letzte dunkelblonde Haar, das noch an einem der Polster der Klammer in der Schwingungskammer hing. Ein verzweifelter Schrei stieg aus ihrer Brust auf, und sie rüttelte wieder an dem Käfig und versuchte das Haar mit der letzten ihr verbliebenen Kraft abzuschütteln. Pater MacPhail rieb sich die regennassen Hände am Gesicht trocken. Seine Lippen bewegten sich, als spreche er, aber Mrs. Coulter hörte keinen Laut. Ohnmächtig riss sie an dem Käfig und warf sich mit ihrem ganzen Gewicht dagegen. MacPhail hielt zwei Drähte zusammen. Ein Funke sprühte. Lautlos fuhr die blitzende Klinge nieder.
     
     
    Etwas explodierte, doch Mrs. Coulter spürte nichts davon. Hände hoben sie auf, die Hände von Lord Asriel. Überraschen konnte Mrs. Coulter an diesem Tag nichts mehr. Hinter ihm stand auf dem steilen Abhang vollkommen waagrecht der Intentionsgleiter. Lord Asriel hob sie auf und trug sie zu dem Fahrzeug, ohne auf die Schüsse, den Rauch und die alarmierten und verwirrten Schreie der Soldaten zu achten.
    »Ist er tot?«, fragte sie mühsam. »Ist die Bombe explodiert?«
    Lord Asriel stieg neben ihr ein, und auch die Schneeleopardin sprang an Bord, im Maul den halb bewusstlosen Affen. Der Lord betätigte einige Hebel und sofort hob das Fahrzeug ab. Benommen vor

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