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Das Bernstein-Teleskop

Das Bernstein-Teleskop

Titel: Das Bernstein-Teleskop Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philip Pullman
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Schrei von so tiefer Seelennot vernehmen, dass Mrs. Coulter sich die Ohren zuhalten musste.
    Die Träger hatten offenbar einen Auftrag auszuführen, denn sie sammelten sich wieder und schritten weiter über die Terrasse, ohne auf die Schreie und das Gemurmel aus der Sänfte zu achten. Sie kamen an eine offene Fläche, breiteten die Flügel aus und begannen auf ein Kommando ihres Anführers zu fliegen. Die Sänfte trugen sie zwischen sich. Schon bald verlor Mrs. Coulter sie in den wirbelnden Nebeln aus den Augen.
    Doch hatte sie jetzt keine Zeit, über die Begegnung nachzudenken. Rasch machte sie sich mit dem goldenen Affen auf den Weg, stieg lange Treppen hinauf, überquerte Brücken und gelangte stetig weiter nach oben. Je höher die beiden kamen, desto deutlicher spürten sie das unsichtbare Treiben um sie herum. Zuletzt bogen sie um eine Ecke und gelangten auf einen großen Platz, eine sich im Dunst verlierende Piazza. Ein Engel mit einem Speer trat ihnen entgegen.
    »Wer seid Ihr?«, fragte er. »Was ist Euer Begehr?«
    Mrs. Coulter musterte ihn neugierig. Das also waren die Wesen, die sich vor so langer Zeit in Frauen, in die Töchter der Menschen verliebt hatten.
    »Nein«, sagte sie freundlich, aber bestimmt. »Haltet mich bitte nicht auf, sondern bringt mich sofort zum Regenten. Er erwartet mich.« Verwirre ihn, dachte sie, bring ihn aus der Fassung. Und da der Engel nicht wusste, was er tun sollte, gehorchte er einfach. Die Frau folgte ihm durch schwindelnde Korridore aus Licht. Zuletzt gelangten sie in ein Vorzimmer. Mrs. Coulter hätte nicht sagen können, wie sie dorthin gekommen waren, jedenfalls waren sie jetzt dort, und nach einer kurzen Pause ging vor ihr so etwas wie eine Tür auf.
    Ihr Dæmon drückte seine scharfen Nägel in ihre Arme, und sie strich ihm beruhigend über das Fell.
    Vor ihnen stand ein Lichtwesen von der Größe und Gestalt eines Mannes. Doch war Mrs. Coulter von ihm so geblendet, dass sie nur die Umrisse erkennen konnte. Der goldene Affe barg sein Gesicht an ihrer Schulter, und sie hob die Hand vor die Augen.
    »Wo ist deine Tochter?«, rief Metatron. »Wo?«
    »Ich bin gekommen, Euch das zu sagen, mein Herr und Gebieter«, antwortete die Frau.
    »Wenn du sie in deiner Gewalt hättest, hättest du sie mit gebracht.«
    »Ich weiß nicht, wo sie sich aufhält, aber ich weiß, wo ihr Dæmon steckt.«
    »Wie kann das sein?«
    »Ich schwöre Euch, Metatron, ich weiß es. Doch bitte, mein Herr und Gebieter, verhüllt Euer Haupt - Ihr blendet mich ... «
    Metatron zog einen Wolkenschleier vor sich, und es war, als sehe man die Sonne durch getöntes Glas. Mrs. Coulter konnte jetzt mehr erkennen, tat aber immer noch so, als sei sie von seinem Gesicht geblendet. Er glich einem Mann mittleren Alters und wirkte hochgewachsen, kräftig und herrisch. Wie war er gekleidet? Besaß er Flügel? Die Frau hätte es nicht sagen können, denn seine Augen zogen sie magisch in ihren Bann und ließen sie nicht los.
    »Ich bitte Euch, Metatron, hört mich an. Ich komme soeben von Lord Asriel. Er hat den Dæmon des Kindes gefangen und weiß, dass das Kind auf der Suche nach seinem Dæmon bald zu ihm kommen wird.« »Was hat er mit dem Mädchen vor?«
    »Er will es vor Euch verbergen, bis es erwachsen ist. Der Lord hat keine Ahnung, wo ich bin, und ich muss bald zu ihm zurückkehren. Ich sage Euch die Wahrheit. Seht mich an, großer Regent, da ich Euch nicht anschauen kann. Seht mich an und sagt mir, was Ihr seht.«
    Der Fürst der Engel betrachtete die Frau. Noch nie hatte Marisa Coulter einem so eingehenden, bohrenden Blick standhalten müssen. Durch alles fuhr er hindurch, durch jede Lüge und jeden Vorwand. Nackt stand sie vor Metatron, seinen sengenden Augen mit Körper, Geist und Dæmon ausgeliefert. Und Mrs. Coulter wusste, dass sie vor ihm bestehen musste, so wie sie war. Und die Frau hatte schreckliche Angst, dass sie ihm nicht genügen könnte. Lyra hatte Iofur Raknison mit Worten belogen, ihre Mutter log mit ihrer ganzen Existenz.
    »Ja, ich sehe dich«, sagte Metatron.
    »Was seht Ihr?«
    »Verderbtheit, Neid und Machtgier, Grausamkeit und Kälte, eine unersättliche, lasterhafte Neugier und skrupellose, perfide Heimtücke. Nie hast du in deinem Leben das geringste Mitleid gezeigt, nie die geringste Freundlichkeit, ohne vorher abzuwägen, was für einen Vorteil du daraus ziehen könntest. Skrupellos und ohne zu zögern hast du gefoltert und getötet. Du hast betrogen und intrigiert, und du warst

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