Das Bernstein-Teleskop
brachen ab wie dürres Holz und fielen hinunter, und dann neigte sich die ganze Krone, die Krone des Baumes, den Mary so gut kannte - ganz langsam zuerst, dann immer schneller.
Stamm, Rinde und Wurzeln schrien auf und schienen mit jeder Faser gegen ihr gewaltsames Ende zu protestieren. Doch unaufhaltsam stürzte der mächtige Stamm und brach durch das Wäldchen. Es war, als lehnte er sich Mary entgegen, dann schlug er unter krachendem Splittern auf den Boden auf - wie eine Welle gegen einen Wellenbrecher schlägt. Einmal noch sprang er ein klein wenig in die Höhe, dann blieb er liegen.
Mary rannte das letzte Stück. Dann stand sie vor dem Baum und schob das windgeschüttelte Laub beiseite. Hier lag das Seil, dort die gesplitterten Reste ihrer Plattform. Ihr Herz raste. Sie kletterte in die umgestürzte Krone und durch die vertrauten, in ungewohntem Winkel abstehenden Äste und stieg, so hoch sie konnte, ohne das Gleichgewicht zu verlieren.
An einen Ast gelehnt, holte sie das Teleskop heraus und richtete es zum Himmel. Dort entdeckte Mary zwei verschiedene Bewegungen.
Zum einen die der am Mond vorbeitreibenden Wolken und zum anderen den Strom von Schattenteilchen, der die Wolken zu kreuzen schien.
Der Strom der Schattenteilchen war mächtig angeschwollen und jagte viel schneller dahin als die Wolken. Er schien den ganzen Himmel mit sich zu reißen in eine gewaltige Flut, die sich unaufhaltsam aus der Welt, aus allen Welten in eine bodenlose Leere ergoss.
Langsam, wie aus eigenem Antrieb, ordneten sich die Eindrücke in Marys Kopf.
Will und Lyra hatten gesagt, das Magische Messer sei dem Alten im Turm zufolge mindestens dreihundert Jahre alt. Von den Mulefa wusste Mary, dass das Sraf, das die Mulefa und ihre Welt seit dreiunddreißigtausend Jahren nährte, seit etwas über dreihundert Jahren allmählich abnahm.
Will zufolge waren die Mitglieder der Zunft vom Torre degli Angeli, die früheren Besitzer des Magischen Messers, nachlässig gewesen. Sie hatten nicht alle geöffneten Fenster auch wieder geschlossen. Mary hatte selbst eines entdeckt, und es musste noch viele andere geben. Angenommen, durch die Wunden, die das Magische Messer der Natur geschlagen hatte, war seither ständig ein wenig Staub gesickert ... Mary schwindelte, aber nicht nur, weil die Äste, zwischen die sie sich geklemmt hatte, hin und her schwankten. Sorgfältig steckte sie das Teleskop ein, hängte sich mit den Armen über den Ast vor ihr und starrte zum Himmel, zum Mond und zu den vorbeijagenden Wolken hinauf. Das Magische Messer war für die vielen kleinen Lecks und die allmähliche Abnahme des Sraf verantwortlich. Für sich allein genommen war das schon schlimm genug. Das Universum litt darunter, und Mary musste mit Will und Lyra besprechen, wie man die Lecks schließen konnte.
Die gewaltige Flut am Himmel dagegen war etwas ganz anderes. Eine neue Entwicklung und eine Katastrophe. Wenn es nicht gelang, sie einzudämmen, bedeutete dies das Ende allen bewussten Lebens. Wie die Mulefa Mary erklärt hatten, entstand Staub, wenn Lebewesen sich ihrer selbst bewusst wurden. Doch benötigte der Staub eine Art Medium, das ihn verstärkte und festigte. Bei den Mulefa dienten dazu die Räder und das Öl der Bäume. Ohne solche Hilfsmittel würde der Staub verschwinden. Denken, Fantasie und Gefühl, alles würde dahinwelken und weggeblasen werden. Zurückbleiben würden nur dumpfer Automatismus. In Milliarden von Welten, in denen das Bewusstsein hell gebrannt hatte, würde es, kaum zum Leben erwacht, wie eine Kerze wieder erlöschen. Mary spürte eine schwere Last auf den Schultern. Ihr war, als sei sie auf einmal achtzig, müde und des Lebens überdrüssig und voller Todessehnsucht.
Schwerfällig kletterte sie aus den Ästen des umgestürzten Baumes und machte sich auf den Rückweg zum Dorf. Der Wind fuhr immer noch in heftigen Böen durch die Blätter und das Gras und durch ihre Haare.
Auf der Kuppe des Berges sah sie noch einmal zu dem Strom von Staub hinauf. Der Wind trieb die Wolken quer durch ihn hindurch, und der Mond stand unbewegt in der Mitte.
Und da endlich begriff Mary, was über ihr geschah, welchem gewaltigen Ziel die Wolken folgten.
Die Wolken errichteten Barrieren gegen die furchtbare Flut der Staubteilchen und versuchten sie aufzuhalten. Wind, Mond, Wolken, Blätter und Gras, sie alle stemmten sich verzweifelt dem Strom entgegen, um die Schattenteilchen im Universum zu halten, das sie so sehr bereicherten.
Denn das Band
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