Das Bernstein-Teleskop
zwischen Materie und Staub war die Liebe. Die Materie wollte nicht zulassen, dass der Staub verschwand. Das war die Bedeutung dieser Nacht und zugleich der Sinn, nach dem Mary gesucht hatte.
Hatte sie nicht geglaubt, das Leben habe keinen Sinn und kein Ziel, weil Gott tot war? Ja, genau davon war sie überzeugt gewesen.
»Aber jetzt hat es einen Sinn«, sagte sie laut, und dann noch einmal, noch lauter: »Jetzt hat es endlich einen!«
Wieder blickte sie in den Himmel. Wolken und Mond wirkten inmitten der mächtigen Staubflut so schwach und verloren wie ein Damm aus Zweigen und Kieseln gegen die Fluten des Mississippi. Trotzdem gaben sie nicht auf und würden nicht aufgeben, bis alles vergangen war.
Mary hätte nicht sagen können, wie lange sie so dastand. Schließlich klang ihre Erregung ab und wich der Erschöpfung. Die Wissenschaftlerin machte sich langsam auf den Rückweg zum Dorf.
Auf halbem Weg den Berg hinunter, in der Nähe einiger Büsche, bemerkte sie draußen jenseits der Salzwiesen etwas Seltsames. Dort glänzte etwas weiß, und es kam mit der Flut näher.
Mary hielt an und starrte angestrengt zum Meer hinaus. Die Tualapi konnten es nicht sein. Sie traten nur in Gruppen auf, dieses Wesen dagegen kam allein. Allerdings glich es den Vögeln sonst in jeder Beziehung - die wie Segel geformten Flügel, der lange Hals - kein Zweifel, ein Tualapi. Mary hatte nicht gewusst, dass sie auch allein unterwegs waren. Sie zögerte. Sollte sie zum Dorf hinunterlaufen und die Mulefa warnen? Doch jetzt hielt der Vogel an und trieb auf dem Wasser nahe dem Uferweg. Und nun teilte er sich ... nein, jemand stieg von seinem Rücken.
Ein Mann.
Mary konnte ihn trotz der Entfernung deutlich erkennen. Der Mond schien hell, und ihre Augen hatten sich an die Nacht gewöhnt. Sie hob das Teleskop an die Augen. Eine Wolke von Staub umhüllte den Fremden.
Der Mann hielt etwas in der Hand, einen länglichen Gegenstand. Mit raschen, federnden Schritten eilte er den Uferweg entlang. Er rannte nicht, aber er bewegte sich geschmeidig wie ein Sportler oder Jäger. Der Fremde trug schlichte, dunkle Kleider, die ihn unter anderen Umständen gut getarnt hätten. Durch das Teleskop war er freilich so gut zu erkennen, als stünde er unter einem Scheinwerfer.
Er näherte sich dem Dorf, und jetzt erkannte Mary den länglichen Gegenstand in der Hand des Mannes: ein Gewehr.
Eisige Kälte legte sich auf ihre Brust, und die Haare auf ihrer Haut stellten sich auf.
Sie war zu weit weg um einzugreifen. Tatenlos musste sie zusehen, wie der Mann zwischen die Hütten trat, nach rechts und links blickte, von Hütte zu Hütte glitt und immer wieder lauschend stehen blieb. Mary kam sich vor wie der Mond und die Wolken, die versuchten, den Staub zurückzuhalten. Sieh nicht unter dem Baum nach, schrie sie in Gedanken. Bleib vom Baum weg
Doch der Mann kam dem Baum immer näher. Zuletzt blieb er vor Marys Hütte stehen. Mary hielt es nicht mehr aus, steckte das Teleskop ein und rannte los. Sie wollte etwas schreien, irgendetwas, doch fiel ihr gerade noch rechtzeitig ein, dass sie damit womöglich Will oder Lyra weckte und die Kinder sich dann verrieten. Mary würgte den Schrei hinunter.
Doch nicht zu wissen, was der Mann vorhatte, war ihr unerträglich. Wieder zog sie das Teleskop heraus, blieb stehen und setzte es an die Augen.
Der Mann öffnete die Tür ihrer Hütte und verschwand drinnen. Zurück blieb nur Staub wie eine Rauchwolke, die man mit der Hand aufgewirbelt hat. Eine endlose Minute verging, dann tauchte der Fremde wieder auf.
Auf der Schwelle blieb er stehen und ließ den Blick langsam von links nach rechts wandern - an dem Baum vorbei.
Dann trat er ganz heraus und blieb unschlüssig erneut stehen. Mary fiel plötzlich ein, dass sie auf dem kahlen Hang eine vortreffliche Zielscheibe abgab, doch der Mann interessierte sich nur für das Dorf. Eine weitere Minute verstrich, dann entfernte er sich leise.
Mary beobachtete, wie er zum Uferweg zurückkehrte und auf den Rücken des Vogels stieg. Das Tier wendete und glitt vom Ufer weg. Fünf Minuten später waren der Fremde und sein Vogel nicht mehr zu sehen.
Über die Berge und weiter
»Dr. Malone«, sagte Lyra am Morgen, »Will und ich, wir müssen unsere Dæmonen suchen gehen. Wenn wir sie gefunden haben, werden wir wissen, wie es mit uns weitergeht. Aber wir können nicht länger ohne sie leben, Deshalb brechen wir jetzt auf.«
»Wohin wollt ihr denn?«, fragte Mary mit schweren
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